Ulrich Seidl ist mit "Rimini" zurück im Kino, nachdem der Kultfilmemacher 2016 mit "Safari" zuletzt einen Film als Regisseur veröffentlicht hatte. Das Werk um den abgehalfterten Schlagersänger Richie Bravo, gespielt von Michael Thomas, feiert am Freitag bei der Berlinale seine Weltpremiere im Wettbewerb. Aus diesem Anlass sprach der 69-jährige Wiener mit der APA über den Typ Schauspieler, den er benötigt, das Reifen von Ideen und persönlichen Ehrgeiz.
Zwischen "Safari" und nun "Rimini" liegen einige Jahre. War das Ihrer Arbeit als Produzent für andere Filmemacher oder den Covid-Problemen geschuldet?
Ulrich Seidl: Es hatte weder mit Covid noch meiner Produzententätigkeit zu tun. "Rimini", der mit Arbeitstitel ja "Böse Spiele" geheißen hat, ist einfach ein sehr umfangreiches und zeitaufwendiges Projekt geworden. Ursprünglich hatte ich vom Drehbuch her zwei Geschichten im Kopf - und nun gibt es am Ende zwei Filme: "Rimini" mit Richie Bravo im Zentrum und einen zweiten, in dem dann Richies jüngerer Bruder Ewald, den Georg Friedrich spielt, die Hauptfigur sein wird. Es war die künstlerisch überzeugendste Entscheidung, dass es nun diese beiden Filme gibt.
Und Sie haben noch für beide Filme mit dem mittlerweile verstorbenen Hans-Michael Rehberg drehen können, der den Vater der beiden Brüder spielt?
Seidl: Ich drehe meine Filme ja eigentlich chronologisch, habe aber in diesem Fall die Dreharbeiten mit Hans-Michael Rehberg 2017 in Österreich begonnen, weil ich wusste, dass das mit ihm, der damals schon schwer krank war, nicht gehen würde. Und es war ja dann auch seine letzte Rolle. Es war eine sehr ergreifende, tolle Zusammenarbeit, weshalb ich ihm den Film auch gewidmet habe.
"Paradies: Liebe", "Safari" oder jetzt "Rimini" eint als eine Themenachse die Frage des Tourismus, der Reise. Was lässt Sie an diesem Thema nicht los?
Seidl: So einfach, dass man da einen roten Faden hätte, den man verfolgt, ist es nicht. Die Entstehung der Geschichte rund um Richie Bravo reicht schon lange zurück - weit vor "Paradies: Liebe". Meine Filme entstehen aus unterschiedlichsten Ideen und oft über sehr lange Zeiträume. Ich habe mit Michael Thomas ja schon bei "Import Export" zusammengearbeitet und hatte damals bereits die Idee, ihn bei einem Episodenfilm als Sänger, als aus der Zeit gefallenen Charmeur der alten Schule in ein All-inclusive-Ressort zu stellen, wo er sich als Witwentröster betätigt. Dieser Film ist dann aber nie gedreht worden. Aber die Figur des Richie Bravo ist mir dann Jahre später wieder eingefallen.
Das bedeutet, dass in diesem Falle für Sie die Hauptfigur und gar nicht die so präsente Örtlichkeit als zweiter Protagonist der Ausgangspunkt war?
Seidl: Es gibt da zwei Stränge. Zwar nicht unbedingt Rimini, aber das Gefühl der Adria im Winter war für mich lange schon interessant als ein Ort, an dem ich mir einen Film habe vorstellen können. Dann gab es die erwähnte Richie-Bravo-Geschichte. Und das ist dann irgendwann zusammengewachsen.
Sie haben mit "Rimini" nun beinahe ausschließlich mit Profischauspielern wie Michael Thomas, Inge Maux oder Claudia Martini zusammengearbeitet. Wie gelingt es Ihnen, dass Akteure bei Ihnen so anders, "authentischer" agieren als bei anderen Regisseuren?
Seidl: Für mich kommen nicht viele Schauspieler in Frage. Für mich kommen nur Schauspieler in Frage, die solch eine Präsenz haben, dass sie vor der Kamera eigentlich nicht spielen müssen. Sie müssen improvisieren können, wahrhaftig sein, nicht mit einer vorgefassten Meinung ans Set kommen, sondern sich über lange Zeit eine Rolle aneignen. Sie müssen spontan agieren können, weil ihnen die Rolle auf den Leib gewachsen ist. Es gibt viele sehr bekannte Schauspielerinnen, die gerne mit mir arbeiten würden, aber ich weiß: das geht nicht. Improvisieren ist etwas enorm Schwieriges.
Wie gehen Sie beim Dreh damit um, dass Improvisation und Wiederholung einer Szene sich ja eigentlich ausschließen?
Seidl: Das entsteht im Schneideraum. Bei mir werden Szenen 1:1 gespielt und mit einer Kamera aufgenommen - aber durchaus wiederholt, auch wenn sie improvisiert sind. Das ist nicht leicht, weil die Schauspieler in einer Szene ja immer wieder eine spezielle Stimmung erzeugen müssen. Aber im Schneideraum wächst das zusammen.
Im Text der Berlinale wird "Rimini" als Ihr "Opus magnum" angekündigt. Sehen Sie das selbst ebenfalls so?
Seidl: Das habe noch gar nicht gehört. Aber nein, das sehe ich nicht so! Zugleich weiß man das selbst natürlich auch nicht. Was andere behaupten, lasse ich so stehen.
Sie sind wie praktisch immer mit ihren Werken auch mit "Rimini" nun wieder im Wettbewerb eines der großen Festivals. Hat das für Sie lediglich in der Frage der Aufmerksamkeit eine Bedeutung, oder sind Sie auch ein ehrgeiziger Mensch, der nun gewinnen will?
Seidl: Jeder will gewinnen. Man ist in einem Wettbewerb, und jeder wird sich freuen, wenn er einen Preis bekommt. Aber die Dinge sind wie sie sind. Ich habe diesen Film gemacht und ihn nun aus der Hand gegeben. Was nun damit passiert, darüber kann ich nicht mehr bestimmen.
Fällt es Ihnen leicht, Ihr Baby ziehen zu lassen?
Seidl: Ich habe das Baby lange gehütet, und jetzt gehört es der Öffentlichkeit. Aber natürlich möchte man als Filmemacher, dass möglichst viele Menschen dein Werk sehen - mit oder ohne Preis.
Martin Fichter-Wöß/APA