"Normalerweise würde ich ja jetzt das Cover herzeigen, aber die Regeln von CBS sprechen dagegen“, amüsierte sich Moderator und Satiriker Stephen Colbert unlängst in seiner Show. Kollege Seth Meyers hingegen zeigte ebenso nicht das Original, sondern ein mit viel Sonne interpoliertes Foto – das so auch in Ländern mit niedriger Toleranzschwell erscheint. Was ist also nun am Cover von „Solar Power“, der ersten Single von Lordes gleichnamiger Platte, zu sehen? Es zeigt sie selbst, wie sie im Bikini über einen Freund springt. Es ist eben alles eine Frage der Perspektive und um genau die geht es bei dem Cover – das Foto ist aus der Froschperspektive aufgenommen: Während andere ob der Freizügigkeit in Schnappatmung verfallen, erinnert sich die Sängerin bei diesem Bild an einen glücklichen Moment am Strand. Natürlich wird in der Popmusik selten etwas ohne Kalkül und Plan gemacht, aber die Leichtigkeit, die das Foto vermittelt, ist kein Zufall. Auch nicht, dass sie bei ihrer aktuellen Tour durch die US-Talkshows meist Gelb trägt.
Lorde, die elfenhafte Neuseeländerin, ruft die Lebenslust aus. Tanzen am Strand mit Backgroundchor und Meer im Hintergrund – ein Video wie eine Vitamin-D-Werbung. Dass sie in Pandemiezeiten den Bedürfnisnerv nach Lebenslust getroffen hat, ist aufgelegt. Punkt für sie. Dass die Platte, die am kommenden Freitag erscheint, aus Umweltschutzgründen gar keine klassische CD mehr enthält, verkauft sich ebenso gut. Vielmehr ist es ein umweltfreundlicher Pappkarton mit einem Downloadcode, persönlichen Notizen und Bonustracks.
Vier Jahre nach ihrem zweiten Album „Melodrama“ beackert Ella Marija Lani Yelich-O’Connor, wie die Sängerin heißt, das brennende Umweltthema. Dass die Platte „Solar Power“ heißt, kommt auch nicht von ungefähr, unter anderem hat sie eine Reise in die Antarktis inspiriert.
Während Kollegin Billie Eilish noch mit den persönlichen Ausläufern ihrer Jugend beschäftigt ist, schwenkt die zweifache Grammy-Gewinnerin Lorde in die Liga der Abgeklärten ein.
Wobei man ihr schon vor Jahren den Titel „Ältestes Jugendliche der Welt“ anheftete, denn schon in frühem Jugendalter ließ sie etwa mit der Kritik an Frauenklischees im Musikbusiness aufhorchen und gab sich in Interviews in hohem Maß reflektiert. Wer jetzt an Billie Eilish denkt, der findet Übereinstimmungen. Vor allem entstammen beide einer Generation von Künstlerinnen, die ihren Durchbruch dank Internet geschafft haben. Das hat auch zur Folge, dass beide penibel über ihre Musik wachen und nur wenige Entscheidungen aus der Hand geben. Während Eilish mit ihrem Bruder Finneas ein Team bildet, setzt Lorde seit der Vorgängerplatte „Melodrama“ auf den Sänger und Produzenten Jack Antonoff. Auch sonst lassen sich beide eher wenig von außen diktieren: Während Eilish Social Media als zweite Bühne sieht und ihre Fanbase um sich schart, hat sich Lorde in den letzten Jahren komplett von Instagram und Co. abgemeldet. Eine Auszeit, die man auch auf dem neuen Album hören wird. Eine Form von Freiheit, die beneidenswert ist.