Sie mussten wegen der Pandemie zahlreiche Absagen hinnehmen, auch von der Wiener Staatsoper und von den Salzburger Festspielen zu Ostern und im Sommer, aber jetzt kehren Sie nach Salzburg zurück.
ILDAR ABDRAZAKOV: Ja, ich singe in Beethovens „Missa solemnis“ und in einer konzertanten Produktion von „La damnation de Faust“ von Hector Berlioz mit. Für die nächsten Jahre in Salzburg habe ich noch strengstes Plauderverbot, aber ich hoffe natürlich, dass aus dem schon für 2020 geplanten „Boris Godunow“ von Modest Mussorgski noch etwas wird.


Wie erlebten Sie das Vorjahr?
2020 wurde trotzdem ein schönes Jahr, denn meine Frau hat mir einen Sohn geboren. Durch die Absagen konnte ich mehr Zeit mit der Familie, Verwandten und Freunden verbringen, und ich hatte auch genug Zeit, um über meine beruflichen Ziele nachzudenken. Zudem hatte ich in Russland mehr Auftritte als ursprünglich geplant und damit – verstärkt durch TV-Präsenz – die Gelegenheit, auch dort „bekannter“ zu werden.


Corona haben Sie sich mit Anna Netrebko eingefangen?
Ja, Anna, mich und meine Frau hat es gleichzeitig erwischt. Wir waren auch alle im selben Krankenhaus. Ich hatte einen sehr milden Verlauf und war glücklich, im Spital nicht allein sein zu müssen. Für meine Frau und mich war es sehr schön, diese Zeit mit Anna verbringen zu dürfen, denn normalerweise treffen wir einander ja nur auf der Bühne. Wir haben einander Mut gemacht, zum Lachen gebracht, Filme angeschaut, Spiele gespielt und gemeinsam gegessen. Nach dem Spitalaufenthalt hatte ich noch eine Regenerationsphase, danach war ich aber monatelang recht gut beschäftigt.


Opernsänger sind Sie wirklich nur durch Zufall geworden?
Ich war zwölf, als ich erstmals ein Opernhaus betrat. Und es hat mir gar nicht gefallen. Diese Kunstform hat keinerlei Gefühle in mir geweckt. Am Konservatorium, das ich besuchte, sang ich viel lieber Songs von Frank Sinatra. Da kreuzte eines Tages mein Bruder, der ebenfalls Opernsänger ist, mit einer DVD bei mir auf: „Attila“ von Giuseppe Verdi aus der Mailänder Scala, mit Samuel Ramey in der Titelrolle und Riccardo Muti am Pult. Eine schicksalshafte Begegnung, denn ich habe mich sofort in diese Oper verliebt. 2011 durfte ich diese Partie, ebenfalls unter Muti, selbst singen und Samuel Ramey war Papst Leo der Große.


Mit Maestro Muti verbindet Sie seither viel mehr?
Ich darf ihn guten Gewissens als meinen „musikalischen Vater“ bezeichnen.


Über Sie wurde geschrieben: „Er verbindet Stimmgewalt mit ungeheuer kluger Gestaltung“. Was bedeutet Ihnen in diesem Zusammenhang die Musik von Verdi?
Die Herausforderung liegt bei ihm oft in der emotionalen Intensität, der psychologischen Charakterzeichnung der Figuren. Technisch gesehen hat er für die Bassstimme komfortabel komponiert, zumindest für mich. Wenn ich Verdi singe, fühle ich mich wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser. Von Muti habe ich viel über Verdi und seinen Stil gelernt. Muti hat noch mit Antonino Votto gearbeitet, der wiederum mit Arturo Toscanini, der Verdi noch persönlich kannte. Also eine interessante Linie, die mir da weitergegeben wurde.