Alexander Wrabetz hatte mit seinem Interview bei oe24.tv der Elefantenrunde eine Spannungsimpfung verpasst. Der ORF-Generaldirektor hatte in "Fellner live" gegen den favorisierten Bewerber Roland Weißmann schwere Geschütze aufgefahren, seine Qualifikation in Frage gestellt und ihm ein Plagiat vorgeworfen: Weißmann soll von Wrabetz‘ "Strategie 2025" abgeschrieben haben, lautet der Vorwurf.
In der am Donnerstagabend von den Neos veranstalteten Runde der ORF-Bewerber und der Bewerberin (Lisa Totzauer) sollte es kein weiteres Geplänkel zwischen W. und W. geben. Kein einziges Mal flogen die Hackeln tief, die längste Zeit redeten die beiden Kandidaten aneinander vorbei.
Den Gastgeber gab neben Neos-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger der "Datum"-Geschäftsführer SebastianLoudon als launiger Moderator, der aber schnell auf den Punkt kam: Selten gehe es um so viel, wie bei der sogenannten ORF-Wahl. Weshalb er auch gleich die Kernzielgruppe der Diskussion nennt: Jene 35 Personen, die am Dienstag die künftige ORF-Führung bestimmen, der Stiftungsrat. Zur Neos-Diskussion eingeladen wurden jene sechs Kandidaten, die ein umfassendes Konzept eingereicht haben: Neben Alexander Wrabetz, Roland Weißmann, Lisa Totzauer und Thomas Prantner auch Julius Kratky und Harald Thoma – der einzige Bewerber, der nicht am Küniglberg seinen Arbeitsplatz hat.
Zuerst ein Blick auf die Hände, denn der gelernte Österreicher weiß, dass es bei der ORF-Spitze nur zweitrangig um das beste Konzept geht. Da könnte man ebenso gut auf die Hände fokusieren: Während Loudon noch einführend sprach, zeigten Generaldirektor Wrabetz und ORF-Technik-Vizedirektor Prantner dem Publikum die Merkel-Raute, Channelmanagerin Totzauer hatte die Hände am Schoß und Vize-Finanzchef Weißmann tippte nervös auf seine roten ORF-Kärtchen. Davon sollte er später bei der Präsentation seines Konzepts zwischendurch ablesen.
Die Konzepte
Julius Kratky: In der Folge fragt Loudon die Konzepte ab, die Statements sollen hier nur kurz zusammengefasst werden. Den Anfang macht ein Außenseiter, der auch im Diskussionshalbkreis außen sitzt. Julius Kratky präsentiert eine Dialogaufforderung: Man müsse mit dem Publikum wieder ins Gespräch kommen, so wie es die US-Tech-Giganten vormachen: "Wir müssen verstehen: Die saugen unsere Werbegelder aus dem Land ab". Dafür brauche es einen neuen Medienbegriff, das Publikum müsse stärker als Producer wahrgenommen werden. Finanzen und Technik will er zusammenlegen, zudem brauche es eine eigene Informationsdirektion. Die ersten Pfähle sind eingeschlagen.
Thomas Prantner: Wer Thomas Prantners Interviews der letzten Tage las, fand die Antworten wortgleich in seiner Präsentation wieder: Es gehe um das tollste Medienunternehmen Österreichs. Prantner verwies – übrigens wie kein anderer Bewerber – auf seine eigenen Erfolge hin: von der Einführung der TVthek bis zur Radiothek. Jetzt gehe es darum, auf Basis dieser Arbeit den ORF in ein neues digitales Zeitalter zu reformieren, so Prantner. Man müsse sich konzentrieren auf: Information, Live und Regionales – das tägliche Bundesländerfenster will er bis 18.30 Uhr verlängern. Dann noch Schlagworte, drei sind der Standard: "schlanker, effizienter und wettbewerbsfähiger". Zum Abschluss Prantner noch lobende Worte für das Wrabetz-Team: Man habe hervorragende Arbeit geleistet.
Harald Thoma: Dann der unbekannte Neuling in der Runde, der es durch eine späte Nominierung – womöglich durch Kärntens Stiftungsrat Siggi Neuschitzer – ins Hearing schaffte: "Ich betrachte das Haus ein wenig von außen", setzt Harald Thoma gleich zu Beginn auf sein wertvollstes Asset. Als einziger Bewerber ist er "kein Produkt des ORF", wie es Totzauer in ihrem Bewerbungsvideo überspitzt formuliert hatte. Den ORF bezeichnet Thoma als "Traditionshaus", das nun die digitale Transformation schaffen müsse. Sein Urteil über den Fortschritt: "Das fehlt völlig". Er fordert neue Plattformen ein, um das junge Publikum zu erreichen (ein Wunsch, den keiner der Anwesenden auslässt). Weniger zum Allgemeingut zählt die nächste Bemerkung: "Sie [die jungen Plattformen] müssen nicht uns gefallen", verweist er indirekt auf 50+-Runde. Die Schlagzeile hob sich Thoma für den Schluss auf: Er will die Kosten massiv verringern, um das Programmentgelt in fünf Jahren um zehn Prozent senken zu können. Und: Auch Thoma tönt ins Horn der Regionalität: Diese Inhalte gilt es zu intensivieren, mehr Kooperation mit regionalen Privatsendern sollen den Output erhöhen.
Lisa Totzauer ist Channelmanagerin von ORF 1 und auch sie würde gerne Generaldirektorin werden. Zunächst spricht sie am Donnerstagabend über Grundsätzliches. Es gehe beim ORF um Werte und Haltungen: "Der ORF ist die mediale Daseinsvorsorge für eine demokratische Gesellschaft". Und wieder zeigt sich, dass Totzauer eine rechte Freude an der journalistischen Zuspitzung hat: "Von der geschlossenen Anstalt zur offenen Plattform", gibt sie die Marschrichtung vor. Um dann beim Stichwort "Medienrevolution" beim nächsten Stehsatz einzubiegen: "Das heißt für uns, dass auch wir uns verändern müssen." Und: "Mehr Österreich im Programm". Auch nicht fehlen darf: Die Landesstudios sollen gestärkt werden, so Totzauer. Das Korrespondentennetz des ORF will sie ausbauen – eine Forderung, die an diesem Abend sonst niemand im Köcher hat. Überhaupt gibt sich Totzauer diskussionsfreudig, aufgeweckt und spontan. Und wieder ein schöner Satz, mit dem man niemandem wehtut: "Wir sind ein Medium für die Mehrheit und genauso für jede Minderheit." Wird man so Generaldirektorin?
Roland Weißmann: Dann wird der Gesprächsball zu Roland Weißmann weitergeworfen, der ihn brav annimmt und seinen Arbeitgeber lobt: "Der ORF hat eine gute Ausgangslage", gute Quoten, zudem sei man gut durch die Krise gekommen und "das Wichtigste: Der ORF hat vertrauen bei den Menschen". Als Ziel führt der stellvertretender Finanzchef und Chefproducer an, dass der ORF auch in fünf oder zehn Jahren gleich oder ähnlich relevant sein müsse. Voraussetzung dafür sei, dass der ORF seine auf Linearität ausgerichtete Organisation neu ausrichtet. Wenn man das junge Publikum erreichen will, "dann brauchen wir auch unsere neuen digitalen Angebote". Und dann kommt wieder ein Dreierlei, mit "kurz und knackig" eingeleitet: der ORF müssen jünger, digitaler und diverser werden, so Weißmann. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss stärker auf Datenanalyse setzen und soll online only anbieten dürfen – nicht zum letzten Mal appelliert Weißmann hier an den Gesetzgeber. Jener Gesetzgeber (bzw. die türkise Regierungsmehrheit), dem seit Monaten nachgesagt wird, er hätte sich für Weißmann entschieden. Und dann noch der Klassiker des Abends: "Ich möchte die Landesstudios auch weiter ausbauen". Die Forderung kommt freilich nicht von ungefähr, sondern hat zentral mit dem Abhängigkeitsverhältnis von ORF-Landesdirektoren, Stiftungsräten und Landeshauptleuten zu tun.
Als Herzstück des multimedialen Newsrooms bezeichnet Weißmann eine weisungsfreie Chefredaktion. Da grätscht Totzauer von rechts hinein: Der Chefredakteur sei sowieso immer weisungsfrei, "als Journalisten werde ich da immer gleich nervös", erklärt die Wienerin, die als Journalistin bei ORF Niederösterreich anfing. Vielleicht lag es an Totzauers Einwurf, dass Weißmann im weiteren Abend ausdrücklich und mehrfach betonte, auch als Journalist gearbeitet zu haben.
Alexander Wrabetz: Dann kommt der Generaldirektor an die Reihe. Wrabetz lässt den gesamten Abend zweifeln, ob er tatsächlich Freude an diesen Veranstaltungen hat, ob er siegesgewiss ist oder beim vierten Antreten über diesen Wettstreit schon schmunzeln kann. Jedenfalls gibt sich der 61-Jährige locker und übermäßig großzügig gegenüber seinem Unternehmen. "Der ORF ist das erfolgreichste öffentlich-rechtliche Rundfunkunternehmen in Europa", verweist er auf Vertrauenswerte. Keiner widerspricht, vielleicht auch, weil fünf von sechs beim ORF arbeiten. Inhaltlich verweist Wrabetz auf sein Zukunftsprogramm, genannt "Strategie 2025": Der ORF müsse einerseits sein lineares Programm behalten und weiterentwickeln, zeitgleich müssten die digitalen Produkte müssen ausgebaut werden. Er verweist auf den multimedialen Newsroom, es sei toll, dass man das hinbekommen habe, ist er voll des Lobes. Dann wird Wrabetz wieder verschmitzt strategisch: Wenn der multimediale Newsroom fertig ist, müsse man schnell sicherstellen, dass Unabhängigkeit und Pluralismus gesichert sind und gleichzeitig schauen, das Synergien genutzt wird." Indirekt warnt Wrabetz davor, durch einen neuen Generaldirektor Zeit zu vergeuden, stattdessen sei Kontinuität goldwert für das Unternehmen. Eine Lücke würde von der Politik als Schwäche ausgenutzt werden könnte. Weißmann sieht das später locker: "Ob das jetzt zwei Monate früher oder später ist, ist egal."
Mück als "Lord Voldemort"
Danach startete die offene Diskussion. Ein Streitpunkt ist die Einführung einer Infodirektion. Kratky und Totzauer wollen es, Wrabetz will beim Status quo bleiben, er sehe keinen Unterschied zum Zentralen Informationsdirektor. Ihm sei wichtiger, dass es starke Sendungsverantwortliche und Chefredaktionen gebe. Den Lacher hatte den Moderator Loudon auf seiner Seite, der in dem Zusammenhang an den ehemaligen, mächtigen und umstrittenen TV-Chefredakteur Werner Mück aus der Ära Monika Lindner erinnerte: Mück sei als "Lord Voldemort" des ORF in Erinnerung geblieben, erklärte er augenzwinkernd.
Interessant und pikant realitätsnah ist das Beispiel, das Totzauer als Argument für eine Informationsdirektion heranzieht: Vielleicht müsse die Generaldirektorin einmal ein ORF-Gesetz verhandeln und kämpft für ein gutes Gesetz – und gleichzeitig ist ein für die Regierung unangenehmer U-Ausschuss im Gange. "Ich halte das für eine äußerst schwierige Situation."
Thoma bleibt auf der Metaebene und vermutet, dass die anderen Bewerber auf alte Pferde setzen. Andere Medienhäuser seien schon crossmedial, Multimedialität sei zu wenig. Nicht online, sondern mobil sei wichtig. Das sei, "wie wenn wir die Keilschrift verbessern, währenddessen saust uns die Jugend im Raumschiff davon". Und dann, der Nachsatz: "Ich beschäftige mich schon mit TikTok".
Prantner tritt zur Ehrenrettung an und erklärt, Werner Mück sei nie zentraler Chefredakteur im ORF gewesen. Mück war nur Chefredakteur Fernsehen und für die Magazine verantwortlich. "Da sollten die Fakten jetzt auch einmal eine Rolle spielen." Zweitens: Es sei nicht spielentscheidend für die Glaubwürdigkeit und Ausgeglichenheit des ORF, ob die Informationsverantwortlichkeit bei der Direktion oder beim Generaldirektor liegt." Das Publikum will eine glaubwürdige Information, die Strukturen seien dem Publikum egal.
Dann bringt Weißmann das Thema Kooperation auf Tapet, allerdings halbherzig. Die Kooperationen mit ARD und ZDF müssten vom linearen Sektor auf den digital ausgeweitet werden. "Hier sind wir gesetzlich verhindert."
Letzte Fragen
Wir kommen ins Finale, die Fragen gehen jetzt direkt an die Kandidaten:
Herr Thoma, der Einzige beim Hearing zu sein, der nicht aus dem ORF kommt, ist das ein Vorteil? Antwort: "Man ist nicht so betriebsblind".
Herr Weißmann, Sie werden überall als türkiser Kandidat gehandelt. Wie kommt das? Antwort: "Ehrlich gesagt, ich weiß ich es nicht."
Nachfrage: Warum wehren Sie sich nicht? Antwort: "Ich möchte von möglichst vielen Stiftungsräten gewählt werden."
Herr Wrabetz, wäre es bei einer Niederlage nicht sehr einfach, sich als Opfer einer politischen Umfärbung zu bezeichnen. Wie kann man dieser Versuchung nicht erliegen? Antwort: "Indem man die Wahrheit verschleiert?", antwortet Wrabetz.
Ende der Sitzung. Am Freitagabend gibt es um 20 Uhr auf Puls24 die Fortsetzung, den TV-Reigen rundet ORF III am Montag ab. Und am Dienstag heben die Stiftungsräte ihre Hand.