Zu den Bewerbungskonzepten der wichtigsten Kandidaten und Kandidatinnen für den ORF-Generaldirektorenposten sind erste Details durchgesickert. Die digitale Transformation nimmt dabei für alle erwartungsgemäß eine wichtige Rolle ein. Auch stellt die "Streaminglücke" für die Bewerber ein vom Gesetzgeber zu lösendes Problem dar. Hinsichtlich der Direktionen gehen die Vorstellungen teils auseinander.
Der derzeitige ORF-Generaldirektor, Alexander Wrabetz, will die bisherige Direktionsstruktur - Programm, Radio (künftig Audio), Finanzen, Technik/Digital - beibehalten, wie der "Standard" berichtete. Jedoch würde er zwei neue Führungspositionen für Digitalisierung und kulturellen Wandel etablieren. Die Funktion "Chefproducer Fernsehen" (derzeit Mitbewerber Roland Weißmann) will er mit dem Hörfunk-Finanzchef zu einem Gesamt-Chefproducer vereinen. Auch ORF-Vizefinanzdirektor Roland Weißmann, dessen Konzept der APA vorliegt, setzt auf Kontinuität bei den Direktionen, stellt aber eine Anpassung nach der Zusammenführung der Wiener ORF-Standorte am Küniglberg und dem Start des neuen multimedialen Newsrooms in den Raum: "Die Zeit für starre, unveränderte Strukturen ist vorbei, wir brauchen Flexibilität und müssen dazu in der Lage sein, auch unsere Führungsstrukturen an die jeweiligen Bedürfnisse des Medienwandels anzupassen", schreibt er. Im Laufe der Geschäftsführungsperiode möchte er die Geschäftsführungsstruktur entsprechend ändern und neu aufstellen, um ein agiles Arbeiten zu gewährleisten. Die Technische Direktion soll unter Weißmann einen Fokus auf Digitalisierung bekommen.
ORF 1-Channelmanagerin Lisa Totzauer würde im Falle einer Bestellung laut "Standard" etwas umstrukturieren. Sie sieht eine eigene Infodirektion vor, welche derzeit bei der Generaldirektion angesiedelt ist. Die Radiodirektion würde wegfallen, Programm-, Finanz-, und Digitalisierung/Technikdirektion bleiben. Zur Unterstützung der Generaldirektion sieht sie ein Generalsekretariat vor. ORF-Technik-Vizedirektor Thomas Prantner plant drei anstatt vier Direktionen: eine Programmdirektion für TV, Radio und Online, eine Direktion für Finanzen, Personal und Business Development und eine Direktion für Technik, Digitalisierung und neue Medien. Letztere solle aufgewertet werden. In der Generaldirektion will Prantner ein "Transformer-Team" zur Steuerung des gesamten Change- und Strategieprozesses, wie aus einer der APA vorliegenden Zusammenfassung seines Konzepts hervorgeht. Er möchte 40 Prozent flachere Hierarchien und klarere Zuständigkeiten. Die Funktion des Channelmanagers soll auf alle TV-, Radio- und Onlinekanäle ausgeweitet werden.
Die "Streaminglücke" - 2015 entschied der Verwaltungsgerichtshof, dass für reines Streaming der ORF-Programme keine Gebühren zu entrichten sind - wollen die vier wichtigsten Bewerber und Bewerberinnen allesamt schließen. Für Weißmann ist dies von "allerhöchster strategischer Bedeutung". Für Totzauer ist es denkbar, ein Grundangebot kostenlos und Zusatzfunktionen nur nach Entrichtung der GIS-Gebühr zur Verfügung zu stellen. Auch sieht sie die Möglichkeit, einen inflationsangepassten Automatismus für die Gebührenerhöhung zu finden, als überlegenswert an. Prantner will intensiver mit den Gebührenzahlern kommunizieren, um die Gebührenlegitimation zu stärken.
Als Problem erachten mehrere Kandidaten die Werbebeschränkungen für den ORF. Restriktionen, welche dem ORF schaden und Mitbewerbern wenig nützen, sollten von der Medienpolitik kritisch hinterfragt werden, regt Weißmann an. Auch Wrabetz und Totzauer schlagen eine Überprüfung vor.
"Lust auf Zukunft" betitelte ORF-Vize-Finanzdirektor Roland Weißmann sein Bewerbungskonzept und verspricht darin eine neue Unternehmenskultur mit drei zentralen Werten: Verlässlichkeit, Verantwortung, Transparenz. Den ORF will er in ein digitales Unternehmen transformieren, wobei die linearen Kanäle gezielter positioniert und TV, Radio und Online aufeinander abgestimmt werden müssten. Die Autonomie der Landesstudios soll wachsen, während Kooperationen mit anderen Marktteilnehmern forciert werden sollen, um den Medienstandort Österreich zu stärken. Die Unabhängigkeit des ORF will er sichern und den Pluralismus ausbauen. Neue Angebote sollen für junge Zielgruppen geschaffen und die Gleichstellung vorangetrieben werden.
Zu wenig Mut erkennt Weißmann, der als ÖVP-Wunschkandidat und somit Favorit für die Wahl am 10. August gilt, derzeit in Hinblick auf die großen Herausforderungen für den ORF. Entscheidungen zu wichtigen Zukunftsthemen seien immer noch nicht gefallen, Konflikte würden vertagt. Innovation und Kreativität fänden kaum Raum im Unternehmen. Zudem moniert er eine ineffiziente operative Umsetzung und unklare strategische Vorgaben. Entscheidungen werden laut Weißmann zu häufig der Generaldirektion überlassen, was zu verschleppten Entwicklungsprozessen und einem Verantwortungsvakuum in den darunter liegenden Führungsebenen führe. In seinem Konzept versichert er, klare Verantwortlichkeiten schaffen zu wollen.
Der derzeitige ORF-Generaldirektor Wrabetz nannte sein Konzept "Leadership. Die digitale Transformation managen." Er gliedert es in fünf Themenbereiche, wobei ein Teil seines Bewerbungskonzepts aus der vom Stiftungsrat einstimmig beschlossenen "Strategie 2025" besteht. Wrabetz möchte einen Fokus auf junge Zielgruppen, den Medienstandort und digitale Innovationen. Er will neue Inhalte in Hinblick auf Regionalität, Channel-Strategien und Content-Leadership. Hinsichtlich der Unternehmenskultur strebt er Gender-Equality und Diversität an.
ORF 1-Channelmanagerin Lisa Totzauer hat ihr Konzept mit "Offen. Relevant. Fortschrittlich" betitelt. Sie will zeigen, wie sich ein öffentlich-rechtlicher Dienstleister in der digitalen Zeit neu erfindet. Die Strategie der Ausspielkanäle will sie jährlich auf den Prüfstand stellen. Als Alleinstellungsmerkmal für den ORF macht sie Österreich aus. Dabei will sie auf Regionalität setzen. Das Vertrauen in den ORF will sie durch Transparenz stärken.
ORF-Technik-Vizedirektor Thomas Prantner bezeichnet den ORF in einer der APA vorliegenden Zusammenfassung seines Konzepts namens "ORF neu: Für Österreich und seine Menschen" als "unverzichtbaren Teil der Identität Österreichs" sowie als relevant für Demokratie und sozialen Zusammenhalt. Der ORF müsse von Selbstbezogenheit zu Kundennähe finden. Ihm schwebt eine Digitalisierungsoffensive beim Programm vor: TV, Radio und Online sollen sich nach Vorbild der ORF-TVthek und -Radiothek vernetzen und verschränken. Die TV-Sender will er klarer positionieren und beim Onlineangebot die aktuelle Information und Auslandsberichterstattung ausbauen - unterstützt durch einen Ausbau der Korrespondentenbüros. Um den ORF als Vorreiter beim Umweltschutz zu positionieren, setzt er auf eine neue multimediale Programmabteilung namens "Nachhaltigkeit, Umwelt- und Naturschutz, Tierschutz". Zudem will er eine Bildungs-, Wissens- und Zeitgeschichteoffensive mit mehreren neuen Formaten starten.
Die Landesstudios will auch Prantner mit mehr Budget und Personal aufwerten und deren Direktoren häufiger bei Sitzungen der Geschäftsführung in Wien und bei zentralen Management-Entscheidungen einbinden. Zudem will er die TV-Regionalisierung mit erweiterten Sendezeiten für die täglichen Bundesland-Sendungen vorantreiben. Als Generaldirektor würde er eine "Zukunftspartnerschaft" mit österreichischen Zeitungen forcieren. Dabei denkt er etwa an eine gemeinsame Allianz bei Log-In und Vermarktung, Ausbau der Content-Kooperationen und eine erhöhte Präsenz der Zeitungen in den Programmen des ORF.
ORF-Chef Wrabetz wandte sich unterdessen an einer Nebenfront der ORF-Wahl an seine Konkurrenten Weißmann und Prantner. In einem der APA vorliegenden Mail wies Wrabetz die beiden darauf hin, ihre Titel Vizedirektor und stellvertretender Direktor nicht zu "mehr zu machen, als es jemals war". Das werde die Wahl nicht entscheiden. Mit diesen Titeln sei "immer Ehre, aber wie Ihr wisst, niemals reale Entscheidungskompetenz verbunden" gewesen, schrieb Wrabetz und führte aus, dass die Titel als "politische Ehrentitel" gedacht waren.