Als Vorkämpferin für offene Kulturhäuser hat die Präsidentin der Salzburger Festspiele zum 100. Festivaljubiläum mitten in der Coronapandemie schon im Vorjahr ein Stück Festspielgeschichte geschrieben. Auch heuer, vor ihrem letzten Festspielsommer im Amt, zeigt sich Helga Rabl-Stadler im APA-Interview zuversichtlich. Ein Gespräch über Verkaufsrekorde, die Pandemie als "große Gemeinheit" und ihre Anfänge als Festspielpräsidentin, die für sie "kränkend holprig" waren.

Durch die weitere Aufhebung von Coronamaßnahmen können die Festspiele nun doch vor vollen Sälen stattfinden. Wie steht es um den Kartenverkauf?
RABL-STADLER: Der 7. Juni war der beste Verkaufstag in der Geschichte der Salzburger Festspiele mit einem Kartenumsatz von 1,2 Millionen Euro. Wir haben im letzten Jahr ein Budget für 2021 gemacht, das auf Vollauslastung basierte. Denn wir konnten nicht erfürchten, dass uns die Pandemie noch einmal so ins Eck drängt. Als sich aber Anfang des Jahres wieder große Einschränkungen ankündigten, haben wir aus Vorsichtsgründen nur zwei Drittel verkauft. Also höchstens vier Menschen nebeneinander, links und rechts davon ein Spacer. Diese Spacer konnten wir nun in den Verkauf bringen - jetzt haben wir natürlich noch mehr Karten zu verkaufen als üblicherweise um diese Zeit. Aber ich bin sehr optimistisch.

Also auch eine Chance, zu einem späten Zeitpunkt noch an Karten zu kommen...
Genau. Es ist einiges ausverkauft, natürlich ein "Don Giovanni", auf den die Menschen seit Jahren gewartet haben - vor allem mit dem Dreamteam Castellucci und Currentzis. Aber es gibt eigentlich für alles noch Karten. Wir sind sehr zufrieden, und wir sind guten Mutes, dass unsere Auslastung so wie in den vergangenen Jahren weit über 80 Prozent sein wird. Ich sehe unseren guten Verkauf auch ein bisschen als Belohnung dafür, dass wir letztes Jahr alles so sicher organisiert haben. Die Menschen setzen viel Vertrauen in uns.

Die Kurzfristigkeit der Planungen ist kostspielig....
Ja - das zeigt uns aber auch, dass wir bisher eigentlich sehr verwöhnt waren. Bis zum Stichtag im Jänner hatten wir immer schon 80 Prozent verkauft. Diesmal haben wir den Stichtag auf den 28. Februar verlegt und hatten dadurch länger eine budgetäre Unsicherheit. Aber ich hege die berechtigte Hoffnung, dass wir ohne Defizit aus dem Sommer herauskommen. Das Hauptproblem der Pandemie ist die enorme Unsicherheit. Wir wissen nicht, wann der Motor der Pandemie wieder anspringt. Es ist heuer sogar schwieriger als im letzten Jahr, weil wir einen Festspielkalender haben wie in früheren Jahren, aber nicht mit denselben favorablen Konditionen. Zum Glück haben wir dank unserem kaufmännischen Direktor Lukas Crepaz ein hervorragendes Präventionskonzept, das mittlerweile mehr als 50 Institutionen aus der ganzen Welt bei uns angefragt haben.

Welche Auswirkungen der Krise erwarten sie längerfristig auf die Finanzierung der Festspiele?
Ich bin dabei, alle Sponsorenverträge zu verlängern. Da ist mir schon sehr viel gelungen, denn ich möchte am 31. Dezember ein finanziell wohlbestelltes Haus übergeben. Wir haben erstmals wieder fünf Hauptsponsoren. Auch da haben wir einen Vorteil, aufgrund unserer Internationalität und weil wir letztes Jahr gespielt haben. Sonst wäre das Verlängern dieser Verträge wahrscheinlich nicht gelungen. Wir dürfen aber nicht vergessen, wir brauchen nicht nur Sponsoren und Mäzene, sondern unser größter Financier ist das Publikum. Wir lukrieren ja fast 50 Prozent unseres Budgets aus den Karteneinnahmen. Bei anderen subventionierten Betrieben sind das 20 Prozent. Es ist daher besonders wichtig, dass das Publikum weiter Geld hat. Denn zu uns kommen nicht nur sehr wohlhabende Leute, sondern der Mittelstand, der sagt: statt einer Reise bleibe ich in Salzburg und gebe mein Geld für eine Woche Festspiele aus. Und da habe ich schon eine gewisse Skepsis, wie schnell sich die Wirtschaft erholen wird.

Das 100er-Jubiläum der Festspiele wurde inmitten der Pandemie selbst zum Zeitzeugnis. Was hat die Kunst, was hat ein Kulturfestival zur Bewältigung so einer Krise beizutragen?
Die Kunst kann Leuchtturm sein, eine Boje in diesem Meer der Unsicherheit. Wir leben in einer Zeit, wo alle vorschnelle Antworten wollen. Sofort. Auch darum sind die Leute von der Pandemie so niedergeschlagen. Die Kunst kann sehr gut Fragen stellen, mit ihren Mitteln. Einer unserer Gründer, Hugo von Hofmannsthal, hat gesagt, am liebsten stellt er seine Fragen mit mythologischen Opern, denn diese Entfernung vom Heute ermöglicht einen präziseren Blick. Nehmen sie Elektra: Liebe und Hass, Krieg und Frieden, Vergebung und Rache. Ich merke immer wieder, wie Menschen auf solche Erlebnisse ansprechen und dann im Gasthaus weiterdiskutieren.

Also braucht es dafür nicht die offenkundig politischen, zeitgenössischen Werke oder Interpretationen...
Nicht unbedingt. Manches finde ich dann auch sehr banal. Wenn man da in jeder zweiten Shakespeare-Inszenierung eine Donald-Trump-Perücke gesehen hat, das ist doch platt, so blöd ist das Publikum ja nicht, ich kann auch ohne Perücke verstehen, was Populisten anrichten. Wir wollen sicher nie tagespolitisch sein, aber wir wollen sehr wohl politisch sein. Auch in diesem Jahr, mit dieser Inszenierung des Don Giovanni oder mit der Stückauswahl und Umsetzung von Nonos "Intolleranza 1960".

Was wird, was soll die Kulturpolitik aus der Coronakrise lernen?
Zusammenarbeit. Zu meinem großen Bedauern habe ich in den letzten 25 Jahren die Erfahrung gemacht, in der Kulturszene wird eher das Trennende als das Verbindende gesucht. Vor allem zwischen Institutionen von Land und Bund ist in der Kulturpolitik eine totale Mauer, keiner weiß was der andere tut. Das hat sich sehr geändert, da darf sich auch die Frau Staatssekretärin (Andrea Mayer, Anm.) ein Federl auf den Hut stecken. Das zweite ist das Lobbying. Wenn man sieht, wie gut das Lobbying der Landwirtschaft ist, oder der Gastronomie, weil sie zusammengehalten haben, dann ist es umso wichtiger, dass auch wir dabei bleiben. Wir brauchen sicher sehr viel Überzeugungskraft, um von den knappen Budgets der nächsten Jahre unseren Anteil zu bekommen. Es ist wichtig, dass wir eine starke Stimme haben, damit wir die Stimme unserer engagierten Staatssekretärin, die ja keinen Ministerrang hat, in der Regierung verstärken.

Was haben Sie persönlich in den vergangenen eineinhalb Jahren über die Menschen gelernt?
Dass die Leute sehr schwer mit Unsicherheit umgehen können. Der Österreicher sieht ohnehin oft in der Veränderung nur die Gefahr der Veränderung zum Schlechteren und nicht auch die einzige Chance der Veränderung zum Besseren, und das hat sich fatal ausgewirkt. Auch ich wurde immer wieder von Mitarbeitern gefragt: Jetzt sagen sie uns endlich, ob wir spielen? Kinder, ich habe doch keine Glaskugel! Die Pandemie ist der Regent, und wir müssen uns durch kluge Strategien die Handlungsfreiheit immer wieder zurück erkämpfen.

Gab es auch positive Effekte?
Ich gehöre nicht zu jenen, die sagen, dass durch diese Pandemie Positives ins Rollen gekommen ist. Eine Krise wie die Energiekrise in den 70ern oder die Finanzkrise 2008 - da konnte man Schlüsse daraus ziehen und notwendige Kursänderungen vornehmen. Die Pandemie haben wir nicht selbst verursacht. Ich fand die Pandemie von Anfang an keine Chance, sondern eine große Gemeinheit. Ich glaube auch nicht, dass sich die Menschen sehr ändern werden. Für mich wäre es zum Beispiel eine schöne Lehre aus der Pandemie, solidarischer mit Krankheiten umzugehen. Das heißt jeder, der einen Schnupfen oder einen Husten hat, trägt so wie in Tokio oder in Seoul eine Maske in der U-Bahn, auch wenn die Pandemie vorbei ist. Aber viele tun ja jetzt schon so, als ob nichts wäre.

Sie haben ihre Präsidentschaft bei den Salzburger Festspielen noch bis zur verlängerten Jubiläumssaison ausgeübt, aber so recht möchte Sie immer noch keiner ziehen lassen. Ist jetzt wirklich Schluss?
Ja, am 31. Dezember ist Schluss. Was ich persönlich mache, weiß ich noch nicht. Ganz in die Pension zu gehen, ist sicher eine große Herausforderung für mich, weil ich mich mein Leben lang durch meinen Beruf definiert habe. Ich bin 52 Jahre lang berufstätig gewesen, von meinem 21. bis zum 73. Lebensjahr - also an mir würde die Sozialversicherung genesen (lacht). Ich bin aber zuversichtlich, ich werde damit zurechtkommen. Ich habe mich immer rasch an neue Gegebenheiten angepasst.

Aus der Besetzung Ihrer Nachfolge wollen Sie sich heraushalten. Welche Risiken sehen Sie im Allgemeinen für die Suche?
Man darf das Amt der Präsidentschaft nicht unterschätzen und nicht falsch verstehen. Sie können mich ja nicht klonen (lacht). Und man darf nicht vergessen, auch mein Anfang war sehr holprig. Für mich kränkend holprig. Ich hatte ein Doktorat, ein Jusstudium, sprach drei Sprachen, wusste wie man ein Unternehmen führt, hatte Erfahrung als Journalistin und habe die Wirtschaftskammer geführt - ich hatte nicht geglaubt, mich rechtfertigen zu müssen. Aber man hat so getan, als ginge es um eine künstlerische, und nicht um eine Managementposition. Ich wurde nicht gefragt, wie ich das mit dem Budget machen werde, sondern sie haben mich gefragt, ob ich Klavier spielen kann. Und ich habe wahrheitsgemäß Nein gesagt. Damit war erwiesen: Wenn der Pollini keine Zeit hat, kann die Rabl nicht spielen. Diese Angriffe haben mich aus dem Hinterhalt getroffen.

Hatte das auch damit zu tun, dass Sie eine Frau waren?
Auf jeden Fall. Bei mir hatte das eine sehr sexistische Komponente. So etwas Wichtiges wie das Amt des Festspielpräsidenten, das kann man doch nicht einer Frau geben. Das habe ich schon als erste Frau an der Spitze der Wirtschaftskammer erlebt. Was die Festspiele betrifft: Man wird sich sicher überlegen müssen, ob ein Dreiergremium ohne eine einzige Frau heute noch möglich ist. Und man wäre schlecht beraten, einen weiteren Intendanten zu suchen. Da ist Streit vorprogrammiert. Wir waren auch deshalb so außergewöhnlich erfolgreich, weil wir einander so gut ergänzt haben. Der oder die Neue muss zu Markus Hinterhäuser und Lukas Crepaz passen.