Sean Penn hat sich doch noch einmal getraut. Vor fünf Jahren, nachdem er mit seiner Kriegsromanze „Last Face“ mit Charlize Theron im Wettbewerb von der Kritik in Grund und Boden gebuht und fast durch die Bank verrissen wurde, hätte man vermuten können, dass er nie wieder mit einer eigenen Filmarbeit in Cannes aufkreuzen würde. Doch weit gefehlt! Nun kam der Gelegenheitsregisseur („Into the Wild“) zurück, erneut in der Konkurrenz um die Goldene Palme, winkte an der Seite seiner Tochter Dylan bei der Premiere von „Flag Day“ vom roten Teppich. Aber konnte der doppelte Oscar-Preisträger damit den kolossalen Fehltritt wett machen?
Für „Flag Day“ hat er sich die Verfilmung des biographischen Romanes „Flim-Flam Man“ der Journalistin Jennifer Vogel vorgenommen, die darin die schwierige Beziehung zu ihrem Vater verarbeitet: einem Betrüger, Brandstifter, Geldfälscher, pathologischem Lügner und unfähigem Vater trotz aller Ambitionen. Verkörpert wird er von Penn selbst, der seinen Film auch darüber hinaus vor der Kamera zur Familienangelegenheit gemacht hat – mit seiner echten Tochter in der zweiten Hauptrolle als Filmtochter.
Diese Konstellation ist bei solch einer Geschichte eigentlich durchaus reizvoll. In „Flag Day“ aber verliert sich dieser Reiz sehr schnell, während Jennifer über die wiederholten Anläufe der Annäherung mit den Jahren den schwierigen Verhältnissen entkommt, um ein eigenes Leben aufzubauen. Denn über fast 120 Minuten wird man Zeuge eines anstrengenden, ewigen Hin und Hers, bei dem schauspielerisch jede Emotion, jede Träne, möglichst viel Drama herausgepresst wird. Ja, Vater und Tochter können nicht miteinander, aber offenbar auch nicht ohne. Das ist auf die Dauer vor allem reichlich ermüdend und eine Einladung zum Wegschlummern zu der melancholischen Singer-Songwriter-Musik – den schönen Americana-Bildern, die immer wieder aufflackern, zum Trotz. Immerhin: Nur eine Handvoll Kritiker buhten diesmal, als der Film vorbei war. Ein paar lachten laut. Die meisten aber verließen kurz nach Mitternacht einfach nur flink den Saal.
Der ewige Cannes-Rückkehrer
Familienangelegenheiten machte im Cannes-Wettbewerb auch Nanni Moretti zum Thema seines Beitrages „Tre Piani“. Der ewige Cannes-Rückkehrer, der seit 2001 für das Trauer-Drama „Das Zimmer meines Sohnes“ zum erlauchten Kreis der Palmengewinner zählt, erzählte von den Bewohnern aus den drei Etagen eines Wohnhauses in Rom – und stand dafür unter anderem neben Margherita Buy und Riccardo Scamarcio einmal mehr auch selbst vor der Kamera.
Über eine Spanne von zehn Jahren mit zwei großen Zeitsprüngen erleben die drei Familien unterschiedlichste Erschütterungen. Ein Vater, der einen alten Nachbarn des sexuellen Missbrauchs seiner kleinen Tochter verdächtigt, landet selbst wegen Verführung einer Minderjährigen vor Gericht. Auf einer anderen Etage brechen Eltern mit ihrem Sohn, nachdem er betrunken eine Frau zu Tode gefahren hat. Es sterben Menschen. Neue kommen dazu. Familien zerbrechen. Beziehungen werden gekittet. Neue Liebe entsteht.
Die Dramen entfalten sich ruhig, langsam, ohne ausgespielte Dramatik. Manches überdauert die Zeit, vieles verändert sich. Wie das Leben eben so spielt, wie es weiter und weiter fließt. Im Programm in Cannes laufen auch schon die nächsten Filme.
Sascha Rettig