Am Filmpalast von Cannes hängt schon das traditionelle Festivalplakat in Übergröße. Darauf sind die Palmen der Croisette zu sehen – und Spike Lees Konterfei. Der US-Regisseur ist Präsident der Jury beim heute anlaufenden Filmfestival: sein zweiter Anlauf nach Absage des Festivals 2020. Heuer sind Maske, Abstand, Impfnachweis oder Negativtest Pflicht; ansonsten soll es ein halbwegs normales Festival werden: mit echten Filmvorführungen, Eröffnungsgala und glamouröser Preisverleihung am 17. Juli. Auch die 24 Beiträge im Wettbewerb versprechen Normalbetrieb – mit Mia Hansen-Løve, Ryûsuke Hamaguchi, Apichatpong Weerasethakul, Kirill Serebrennikow, Wes Anderson, Nanni Moretti, François Ozon, Asghar Farhadi versammeln sich Großkaliber des Weltkinos zum Rennen um die Goldene Palme.
Schwachpunkt: Unter den auserwählten 24 sind nur vier Regisseurinnen. Dafür ist Lees neunköpfige Jury mit fünf Frauen besetzt – eine davon ist die Wiener Filmemacherin Jessica Hausner.
Mit Lee, der seit „She’s Gotta Have It“ und „Do the Right Thing“ als einer der großen Innovatoren und Gesellschaftskritiker des US-Kinos gilt, ist jedenfalls für einen aufregenden Wettbewerb gesorgt: Nicht nur filmisch bezieht er zu Rassismus und Diskriminierung Stellung. Geprägt von der Bürgerrechtsbewegung, sieht Lee sich als Künstler zur politischen Teilhabe verpflichtet: Von Donald Trump bis zu Waffen- und Armutspolitik nahm er sich zuletzt kein Blatt vor den Mund, aktuell ist er einer der prominentesten Fürsprecher der „Black Lives Matter“-Bewegung.
Die filmische Arbeit kommt daneben nicht zu kurz. Erst unlängst lief seine Doku „David Byrne’s American Utopia“ in unseren Kinos, sein jüngster Spielfilm „Da 5 Bloods“ streamt auf Netflix. Nächste Projekte in Lees fast 100 Filme umfassenden Œuvre: ein Musical (!) über den Ursprung des Potenzmittels Viagra. Und unter dem Arbeitstitel „Prince of Cats“ will er eine Hip-Hop-Version von Shakespeares „Romeo und Julia“ drehen.
Ute Baumhackl