Von Batman zu Alice in Wonderland, von Good Will Hunting bis Milk, von Mission: Impossible bis Dr. Strange 2: Es sind mehr als 100 Kinofilme, die ohne seine Musik einfach undenkbar sind – und natürlich auch die Simpsons. In den USA war Danny Elfman vor seiner Hollywood-Karriere aber ein New-Wave-Star mit seiner Band Oingo Boingo. Nach 37 Jahren feiert er nun ein Rock-Comeback – warum, erzählt er uns in einem 35 Minuten langem Exklusiv-Interview, das er der Kleinen Zeitung als eines von ganz wenigen Medien in Europa gewährt. Was auch damit zu tun hat, dass Elfman die gesamte visuelle Umsetzung des Albumprojekts in die Hände einer Grazerin gelegt hat: Mit Berit Gilma ist er seit Jahren befreundet - und das wiederum hat auch mit einem österreichischen Künstler zu tun, den beide verehren.
Bis Elfman am anderen Ende der Zoom-Leitung nach L. A. erscheint, plaudern wir zuerst noch mit seiner PR-Agentin über Corona-Impfungen. Da schaltet sich Elfman dazu und scherzt: „Ich gehe kein Risiko ein und habe mich schon sechsmal impfen lassen. In den einen Arm Moderna, in den anderen Pfizer.“
Jetzt aber im Ernst: Ihr Comeback als Rockmusiker kam ziemlich überraschend – und es sieht so aus, als hätte es eine sehr düstere Phase in der Geschichte gebraucht, um Sie zurück an die E-Gitarre zu bringen, liegen wir da richtig?
DANNY ELFMAN: Es war tatsächlich das Letzte, das ich erwartet habe. Der erste Monat der Corona-Quarantäne lag für mich, wie für alle, in einer Art Nebel. Diese Phase danach, in der gerade noch nicht alles abgesagt war, war schwierig – ich hatte keinen Wind in meinen Segeln. Ich war so frustriert, dass ich mir dachte, vielleicht schreibe ich ein paar Songs.
Nur so zum Spaß?
Ja – aber als ich dann bemerkt habe, wie viel Gift in mir schlummerte, war das wie die Büchse der Pandora zu öffnen. Ich habe erst Dampf abgelassen über Trumps USA im Jahr 2020 – für mich so etwas wie eine Fortsetzung von Orwells 1984. Dann öffnete ich mich aber auch für persönliche Dinge: Die Isolation durch die Pandemie zwang einen, sich mehr mit seinem Inneren zu beschäftigen.
Was ist „Big Mess“, das „große Durcheinander“, im Albumtitel?
Das bin einfach ich, mein Geist ist ein chaotischer Ort. Ich habe schizophren geschrieben, einmal einen schweren, einmal einen schnellen Song – als „Big Mess“ passt alles zusammen.
Denken Sie im Nachhinein, dass Sie ein Album ohne Trump und ohne Corona gemacht hätten?
Nein, ich hätte sonst meine Aufträge gehabt. 2020 waren statt Filmprojekten aber fünf ganz verschiedene Konzerte geplant: eine Show beim Coachella Festival, Premieren meiner Cello- und Violinkonzerte in Deutschland und England, die Proms in London, ein „Nightmare before Christmas”-Konzert in L.A.
Hat sich Ihre Herangehensweise zum Songwriting verändert?
Was die Texte angeht, habe ich für Oingo Boingo fast ausschließlich sarkastische Songs geschrieben, meistens aus Sicht einer anderen Person – hier habe ich mich für das geöffnet, das aus meinem Inneren kam. Nur beim Song “Love in the time of Covid” habe ich mich in ein 20-jähriges, geiles, Mädchen versetzt, das in einem kleinen Appartment lebt während der Isolation.
Und wie ist der Sound des Albums entstanden, hatten Sie den von Anfang an so im Kopf?
Den Sound musste ich fast komplett alleine einspielen und auch aufnehmen. In meinem kleinen Arbeitszimmer habe ich meinen Computer, mit dem ich auch an Filmmusik arbeite, ein Mikro, eine E-Gitarre, eine Akustikgitarre, das ist es. Nichts Ausgefallenes. Ich habe fast das gesamte Album dort gemacht.
Ist Ihnen da Ihre Erfahrung als Komponist zugute gekommen - weil Sie einen Sound als Ganzes denken können?
Vielleicht, ja - ich hatte einen Sound im Kopf, als ich damit begonnen habe. Der erste Song war “Sorry”, den ich für ein Musikfestival das Jahr davor geschrieben hatte - dazu war ich von Berit eingeladen worden. Ich habe es damals “Chamber Punk” (Kammer-Punk) genannt, es bestand aus Frauenstimmen, Orchester und Rockband. Ein 10 bis 12 Minuten langes konzeptuelles Stück. Von da an hatte ich den Klang von Streichern und elektrischen Gitarren im Kopf. Dieser Song hat mich wohl in diese Richtung geführt - ich habe E-Gitarren auf meinen Fingern gefühlt. Und natürlich das Coachella Festival, wo ich 2020 ja eigentlich eine große Show mit einer Mischung aus Oingo Boingo und meiner Filmmusik machen sollte - hätte ich nicht den Auftrag für eine Show dort gehabt, hätte ich bestimmt mehr in Richtung Orchester gedacht. Ich habe mich mit einer E-Gitarre in der Hand auf der Bühne gesehen, und dieses Gefühl habe ich mit in die Isolation genommen.
Wollen Sie den abgesagten Auftritt nachholen?
Ja, wir haben schließlich einen Haufen Arbeit hineingesteckt. Es ist natürlich kein Album, das man einfach live umsetzen kann - allein wegen der Streicher. Aber es wäre auf jeden Fall interessant! Das war es eigentlich, das mich am Coachella-Festival interessiert hat, ich war davor 15 Jahre lang immer wieder für eine Oingo-Boingo-Reunion-Show angefragt worden, und hatte immer abgesagt. Aber als wir 2019 einmal dort waren und ich die Screens bei der Bühne gesehen habe - das hat mich dann begeistert. Die Projektion ist so viel besser als früher. Da kam mir die Idee, eine Halb-Film- und Halb-Rock’n’Roll-Show zu machen. Ein Film-Orchester-Konzert wäre zu kompliziert gewesen, aber eine Mischung, dann vielleicht noch mit meinem neuen Song “Sorry”, den ich damals schon hatte und von dem aber niemand eine Ahnung hatte - das wäre köstlich gewesen. Wenn ich es jetzt noch mache, dann fehlt leider dieser Aspekt der Überraschung. Aber es würde Spaß machen.
Bemerkenswert ist aber auch die visuelle Komponente, die gemeinsam mit Berit Gilma als Art Direktorin und vielen Künstlern entstanden ist: Das Artwork, sieben aufwendige Musikvideos, ein 56-seitiges Buch folgt – war es immer klar, dass Sie solchen Aufwand ins Visuelle stecken wollen?
Das Visuelle ist mir sehr wichtig, ich komme ja eigentlich vom Theater. Berit war für das Album von wesentlicher Bedeutung. Sie hat faktisch die gesamte visuelle Seite des Projekts verantwortet. Ihre Wirkung und ihr Input waren enorm.
BERIT GILMA kommt kurz dazu: Wir teilen den gleichen Geschmack und ich bin sehr froh, dass er offen für meine Ideen und Visionen für dieses Projekt war. Danny’s Welt war immer schon stark visuell geprägt durch etwas düstere Ästhetik. Ich habe versucht, seine Arbeit in einen Dialog mit zeitgenössischer digitaler Kunst und neuen Technologien zu bringen. Ein Remix-Album folgt übrigens auch noch, das ich co-kuratiere.
DANNY ELFMAN: Es war ein großes Glück, das Berit mich mit Sarah Sitkin (die Künstlerin, die das Cover gestaltet hat) bekannt gemacht hat. Sie hat das sofort gespürt, wie meine Musik sich für mich anfühlt - grotesk, manchmal interessant, manchmal sogar ruhig. Sie hat einen total verrückten Konflikt in ihrer Kunst, bei dem ich fühlte, das er auch mich sehr gut repräsentiert. Wir hatten tolle Sessions, ich habe geliebt, diese 3D-Scanning Sessions zu machen mit ihr, bis 4 Uhr morgens habe ich Bilder auf mein Handy bekommen - da hat sie immer noch gearbeitet. Und: Berit und ich arbeiten an einem 56-Seiten Buch mit all den verrückten Sachen, die sie gemacht hat - ich bin sehr glücklich mit der visuellen Seite des Albums.
Wie haben Sie beide sich überhaupt getroffen?
Über eine gemeinsame Freundin – wir haben uns dann über Hundertwasser unterhalten, von dem ich seit meiner Jugend ein Fan bin. Wir blieben in Kontakt, und als ich in Wien war, habe ich einen Abstecher zu Berit nach Graz gemacht – und von dort fuhren wir nach Bad Blumau. Das habe ich geliebt – oh mein Gott. Es war so toll, endlich in dieser Architektur zu sein. Als ob man direkt in einem Hundertwasser-Gemälde wäre.
Wie kam es dazu, dass das Album gerade beim Indie-Punklabel Epitaph Records bzw. deren Sublabel Anti erscheint?
Das war interessant - als ich im Juli 16 Songs zusammen hatte, habe ich gesagt, dass ich jetzt eine Deadline brauche. Normalerweise hat alles, was ich tue, strenge Deadlines: Ohne die hätte ich niemals aufgehört. Als wir das Material dann Plattenfirmen vorgespielt haben, war es richtig interessant - zunächst hat es ewig gedauert, weil wir uns vor den Vorspiel-Sessions immer 10 Tage isoliert haben, dann noch getestet, 48 Stunden auf das Ergebnis gewartet, bis wir dann zu viert mit zweieinhalb Metern Abstand im Studio sitzen konnten und die Songs anhören. Dann dasselbe mit der nächsten Plattenfirma. Das hat insgesamt drei Monate lang gedauert. Es hat mir echt Spaß gemacht, die Reaktionen der Leute in ihren Gesichtern abzulesen (imitiert sehr, sehr erstaunte Gesichter). Der zentrale Song für mich war dabei “Sorry” - wenn sie damit nicht umgehen konnten, dann mit dem Album auch nicht. Es gab ein paar wirklich köstliche Reaktionen.
Das war bei Epitaph dann wohl anders?
Allerdings: Andy Kaulkin, der Chef von Anti, ist sofort aufgesprungen, hat geklatscht, und wollte zehn Minuten lang nur über den Song sprechen. Später musste ich es noch Brett Gurewitz (Frontman der Punkband Bad Religion und Labelchef von Epitaph, Anmerkung) vorspielen - da war es noch einmal dasselbe. Die Zusammenarbeit mit ihnen war total anders als bei meinen anderen Alben, normalerweise habe ich die fertige Musik einfach in die Hände des Labels gelegt, diesmal haben wir aber sehr eng zusammengearbeitet, sie sind in der Produktionsphase fast wie Partner geworden.
Für die Oscars waren sie viermal nominiert, aber haben nie gewonnen. Ist ein Oscar auf Ihrer Bucket List? Oder ist Ihnen das egal?
Auszeichnungen sind mir wirklich egal. Award Ceremonies sind für mich wie Politik. Man kann Kunst nicht auszeichnen. Es ist höchstens Werbung, die Academy hilft schließlich, Filme zu bewerben - das ist wichtig. Aber mir bedeutet es wirklich nichts, zu gewinnen. Das ist pures Ego. “Fütter mein Ego” singt Blixa Bargeld, das passt gut dazu.
Sind Sie immer noch nervös, wenn Sie etwas veröffentlichen?
Wenn ich etwas Neues veröffentliche, dann erwarte ich mir gerade einmal, dass das so etwa zehn Leute auf dem ganzen Planeten hören werden. Bei „Big Mess” bin ich mir dessen sehr bewusst, dass der Sound sehr weit vom Mainstream Pop heutzutage entfernt ist – es ist eine sehr sonderliche Kombination von seltsamen Einflüssen: aus dem mittleren Bowie, den Beatles, Radiohead, Einstürzende Neubauten, Nine Inch Nails – allem, was ich so gehört habe.
Welche Musik inspiriert Sie sonst?
Aus der Klassik die Russen, Strawinsky, Prokofjew, Schostakowitsch – dann Percussion, Steve Reich, Harry Partch. Sie alle haben mich inspiriert, ständig etwas Neues auszuprobieren. Ich liebe Herausforderungen, ich liebe es, in etwas Neues hineinzuspringen. Der Trick für mich ist es, mich immer aus meiner Komfortzone zu bringen. Die Komfortzone ist der Tod eines Künstlers.
Haben Sie derzeit auch noch Filmmusik in Arbeit?
Ja, ich bin mittendrin in einem Film, ein Science-Fiction-Film namens “65”. Und ich mache einen Marvel-Film, Doctor Strange 2.
Mögen Sie die Marvel-Filme?
Aus dem Marvel Cinematic Universe habe ich bislang nur einen Film gemacht, aber es ist eine aufregende Herausforderung. Es ist echt schwer und intensiv, wirklich harte Arbeit, aber das gefällt mir. Andere Filme sind ruhig und relaxed, aber die Marvel-Welt ist, wie in einen Armee-Drill zu absolvieren. Die Parameter sind wirklich rigide, aber das ist eine Herausforderung, die mir gefällt.