„Wir eröffnen wagemutig wie jedes Jahr“, blicken die Grazer Schauspielhaus-Intendantin Iris Laufenberg und ihre Leitende Dramaturgin Karla Mäder auf den 16. September. Denn es ist nicht der populäre „Frankenstein“, sondern „Der letzte Mensch“ aus 1826, mit dem der hoffnungsfrohe Startschuss für eine durchgehende Live-Saison erfolgt. Die Umsetzung des erst heuer erstmals auf Deutsch erschienenen Schauerromans von Mary Shelley bringt die Geschichte einer sehr einsamen Frau auf die Bühne, hat aber noch eine ganz andere Brisanz: Eine Seuche löscht die Menschheit aus. Alexander Eisenach wird den „600 Seiten starken und komplizierten Roman“, so Mäder, wo auch die Grenzen zwischen Natur und Mensch sowie der wissenschaftliche Fortschritt ausgelotet werden, u. a. mit Live-Videos inszenieren.
Ein Motto oder Schlagwort als Übertitel für die kommende Spielsaison will das Team nicht nennen, man könnte sie am ehesten mit „Anstöße und Debatten über die Zukunft“ überschreiben. Einige Produktionen liegen „vorproduziert in der Tiefkühltruhe“, wie es Mäder nach den Lockdowns mit dem richtigen Humor bezeichnet, wobei an den zwei gänzlich unterschiedlichen Shakespeares für ihre nun 2022 angesetzten Premieren („Macbeth“ am 14. Jänner, „Ein Sommernachtstraum“ im Frühjahr) freilich noch einmal gearbeitet wird. Das auch ursprünglich für die aktuelle Spielzeit geplante „Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)“ von Elfriede Jelinek wird nun am 1. Oktober zur Premiere kommen. Ebenfalls aus der Spielzeit 20.21 verschoben wurde die Adaptierung von F. Scott Fitzgeralds Kultroman „Making a Great Gatsby“, deren Premiere nun für 26. November angesetzt ist.
Gespannt darf man auf die Uraufführung von „Garland“ sein (6. November), handelt es sich dabei doch um den Text der Gewinnerin des Autor*innenpreises des Heidelberger Stückemarktes 2021, Svenja Viola Bungarten. „Diese junge deutsche Autorin vermag handfeste Figuren und federnde, pointierte Dialoge zu schaffen“, so Laufenberg. Das Stück sei „eine Mischung aus ländlicher Komödie und Klimatragödie“, anhand skurriler Looser werde der Klimawandel sichtbar gemacht.
Bissiger Humor leuchtet im neuen Spielplan jedenfalls auf. Denn im großen Haus hat man sich zudem für Komödien-Altmeister Alan Ayckbourn (mittlerweile 82) entschieden: „Ab jetzt“ stammt aus 1987, geradezu prophetisch malte er damals unsere heutige Gegenwart aus, in der genderfluide Jugendliche, fehleranfällige künstliche Intelligenzen und telekommunikative Überbelastung Teil des Alltags geworden sind. Ab 4. Februar könnte einem also das Lachen im Halse stecken bleiben. Komik soll auch bei „Linda“ (11. März) nicht zu kurz kommen. In der Österreichischen Erstaufführung der jungen britischen Autorin Penelope Skinner sehen sich Frauen um die 50 von einer rücksichtlosen Generation überholt. Rollenbilder auf dem Prüfstand also.
Das Haus zwei, also die ehemalige Probebühne, wird am 17. September mit der Österreichischen Erstaufführung des international erfolgreichen Stücks „Die Laborantin“ der britischen Autorin Ella Road eröffnet. Sie mache mit ihrer Dystopie, wo die Menschen aufgrund ihrer Blutwerte eingeschätzt und gereiht werden, deutlich, welchen Weg wir mit dem Druck zur Leistungsoptimierung gehen. Manipulationen inklusive.
Im Ensemble gibt es mit Daria von Loewenich einen Neuzugang zu vermelden, die man in der „Laborantin“ zum ersten Mal sehen wird. Die gebürtige Düsseldorferin (Jahrgang 1997) studierte an der Otto Falckenberg Schule in München. Bei den Schauspielabsolventen gab es die Angst, eine „verlorene Generation“ durch fehlende Engagements zu sein, so Laufenberg, „daher haben wir auf Vorsprechen nicht verzichtet, um ein Zeichen zu setzen, dass es nach der Ausbildung weitergeht“.
Neu durch die Arbeit im Lockdown: Erstmals bietet das Grazer Schauspielhaus während der Sommerpause (Juli und August) einen digitalen Spielplan an. Im Programm befinden sich verschiedene Formate, die jenseits der klassischen Theateraufführung konzipiert und produziert wurden, darunter Videostreams der Stücke „Zitronen Zitronen Zitronen“ von Sam Steiner, „Niemand wartet auf dich“ von Lot Vekemans und „Flüstern in stehenden Zügen“ von Clemens J. Setz sowie dessen Hörspielfassung.
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