Wo anfangen? Im Graben. Philippe Jordan hebt den Taktstock und setzt einen Höllenritt in Gang, der erst mit dem Tod des Protagonisten enden sollte. Präzis und scharfkantig, lyrisch und fahl klingt das Orchester, dem Jordan feinste Nuancen und gegebenenfalls auch die nötige Wucht entlockt. Immer auf das Wesentliche fokussiert, führt er die Musiker durch die düsteren Seelenlandschaften der Machttrunkenen und ihrer Opfer - ein Labyrinth ohne Ausgang.
Dass die Musik so eine zentrale Rolle spielen kann, ist auch Barrie Kosky zu danken. Der Regisseur verzichtet auf jeden Mummenschanz, auf Hexensabbat und Totenköpfe, die man sonst gerne bei dieser Oper bemüht. Der Chor huscht nur als schwarze Schatten über die von Klaus Grünberg erdachte schwarze Bühne. Vier perspektivisch nach hinten verlaufende Reihen rätselhafter Irrlichter spenden kaum Helligkeit. In der Mitte hängen zwei große Lichtquellen von der Decke, die gerade genug Quardratmeter ausleuchten, um Platz für Shakespeares und Verdis Kammerspiel um Macht und Größe zu schaffen. Mehr braucht Kosky nicht, um diesem grandiosen Werk gerecht zu werden. Hätte er die Radikalität auf die Spitze getrieben und auch noch die nackten Zwitterwesen weggelassen, der Gesamteindruck wäre allenfalls noch stimmiger und bedrückender ausgefallen.
Jordan und Kosky steht ein Team zur Verfügung, das bis zur letzten Nebenrolle Höchstnoten verdient. Luca Salsi spielt, singt und ächzt mit beklemmender Intensität den von Dämonen der Macht zerfressenen Schotten-Herrscher. Ihm zur Seite agiert die grandiose Anna Netrebko. Auch sie nimmt Verdis Wunsch ernst, nicht auf Schöngesang zu setzen. Dass sie auch den beherrscht, zeigt sie mit strahlenden Höhen und dramatischen Ausbrüchen.
Viel hat Freddie Di Tommaso, der sensationelle neue Tenor im Ensemble des Hauses, an diesem Abend nicht zu singen. Er nutzt die kleine Rolle des Rächers Macduff, seine Sonderklasse unter Beweis zu stellen. Roberto Tagliavini verleiht dem Banco Statur und Härte. Der Chor, den Verdi als Hexen, Mörder, Höflinge, Vertriebene und Soldaten braucht, singt mit seltener Präzision und Leidenschaft. Ein rundum herausragender Abend, der dem begeisterten Publikum die letzten Illusionen über die menschliche Natur raubt.
Thomas Götz