Der Paukenschlag, den wir online heute um 2 Uhr früh ankündigten, ist vollzogen: Nora Schmid, seit der Spielzeit 2015/16 Intendantin der Oper Graz, wird ab 2024 Chefin der Semperoper Dresden, eines der renommiertesten Musiktheaterhäuser in Deutschland. Die Sächsische Staatsregierung hat heute (8. Juni 2021) im Kabinett zugestimmt, dass Schmid einen sechs Jahre laufenden Vertrag ab der Spielzeit 2024/25 erhält. Sie tritt die Nachfolge von Peter Theiler an, dessen Vertrag zur Spielzeit 2023/24 endet.

Wunder ist das keines, sondern eine Rückkehr: Denn Schmid war schon ab der Saison 2010/11 als Chefdramaturgin an der Semperoper und wurde 2012 zusätzlich mit den Aufgaben der persönlichen Referentin der Intendantin Ulrike Hessler betraut, nach deren Tod im Juli 2012 sie zur geschäftsführenden Interimsintendanz der Semperoper Dresden gehörte. Die Initiative, die bewährte Kraft ans Haus zurückzuholen, sei vom sächsischen Kulturministerium ausgegangen, hieß es. Schmid habe sich einer Findungskommission gestellt, die der Verwaltungsrat eingesetzt hatte. Findungskommission und Verwaltungsrat sprachen sich einstimmig für sie aus.

In einer ersten Stellungnahme sagte die 42-jährige Schweizerin: "An die Semperoper zurückzukehren ist für mich eine große Freude. Musik und Theater sind dialogische Kunstformen, und ich wünsche mir, dass das in der Semperoper Erlebte zum Thema wird zwischen den Menschen. Und so möchte ich für die kommenden Jahre eine Programmatik entwickeln, die zum einen die so spannende und wechselhafte Geschichte Dresdens und des hiesigen Opernhauses reflektiert und fortführt und zum anderen das Publikum mit Neuem, Vergessenem, selten Gespieltem konfrontiert, sich aber auch nicht vor Bekanntem und Populärem scheut. Kenntnis und Pflege der Tradition sind Voraussetzung, um auch Neues zu wagen. Dabei gehen intellektuelle Durchdringung, differenzierte Perspektiven, theatraler Zauber und Überwältigung Hand in Hand. Im Zentrum meiner Arbeit steht für mich immer die Musik – und auch das Miteinander all derer, die Tag für Tag dazu beitragen, die Semperoper zum Klingen und Strahlen zu bringen. Das Fundament dieser künstlerischen Strahlkraft sind der hervorragende Sächsische Staatsopernchor, das sowohl hier als auch on tour erfolgreiche Semperoper Ballett, ein leistungsstarkes Solistinnen- und Solistenensemble, charismatische Gastkünstlerinnen und -künstler und natürlich die Sächsische Staatskapelle Dresden. Es ist ein großes Glück, Abend für Abend ein solches Spitzenorchester erleben zu können, bei den Opern- und Ballettaufführungen genauso wie bei den zahlreichen Konzerten in der Semperoper oder als Kulturbotschafterin Sachsens auf internationalen Gastspielreisen. Mit all diesen Künstlerinnen und Künstlern der Semperoper ein Profil zu verleihen, das die unterschiedlichsten Menschen vor Ort anspricht und Opernfans aus aller Welt fasziniert, ist eine wunderschöne und dabei auch komplexe Aufgabe, auf die ich mich sehr freue!"

Großer Verlust für Graz

Ab der Saison 2024/25 fällt der 42-Jährigen also einer der begehrtesten Posten in der deutschsprachigen Musiktheaterlandschaft zu. Ein großer Verlust für Graz, wo Schmid das Opernhaus in der Nachfolge von Elisabeth Sobotka, die ja als Chefin zu den Bregenzer Festspielen gewechselt war, in weitere Höhen führen konnte, was auch Nominierungen für den International Opera Award oder mehrere mit Preisen ausgezeichnete Musiktheaterproduktionen und CD-Einspielungen beweisen. Ein Gewinn aber für die so zurückhaltende wie passionierte Kulturmanagerin selbst und für die Semperoper in Dresden.

Nora Schmids Abgang ist ein weiterer Beweis dafür, dass Graz als Kulturstadt einen guten, weitum bekannten Ruf hat und als Sprungbrett-Station für noch höhere Weihen dient. Man denke an den Wechsel von Elisabeth Sobotka zu den Bregenzer Festspielen (2015), von Anna Badora ans Volkstheater Wien (2015) und - wie im November vermeldet - von Schauspielhaus Intendantin Iris Laufenberg ans Deutsche Theater Berlin (2023) oder der im April bekannt gewordene Ruf der Kunsthaus-Chefin Barbara Steiner an die Stiftung Bauhaus Dessau in Sachsen-Anhalt.

Die Semperoper in Dresden hat eine bewegte Geschichte
Die Semperoper in Dresden hat eine bewegte Geschichte © APA

Neue Pläne der Semperoper

Erst Mitte Mai hatte die Sächsische Staatsoper Dresden laut Austria Presse Agentur folgende Pläne für eine neue Ära verkündet: Ab Sommer 2024 sollen sowohl die Leitung des Hauses als auch der Chefposten bei der Staatskapelle neu besetzt werden. Für Intendant Peter Theiler (64) wird der Vertrag bis zum Ende der Spielzeit 2023/2024 verlängert, Chefdirigent Christian Thielemann (62) erhält für danach keinen neuen Vertrag.

"Unabhängig davon würde ich mich freuen, wenn Christian Thielemann mit seinem weltweit geachteten Profil auch weiterhin der Semperoper künstlerisch verbunden bleibt", erklärte Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU). "Für die Zeit ab 2024 soll die Leitung der Semperoper und die Position des Chefdirigenten beziehungsweise der Chefdirigentin mit der Perspektive 'Semper2030' neu besetzt werden", hieß es. "Die Stille während der Corona-Krise lässt in den Hintergrund treten, dass wir bis heute auf eine erfolgreiche Intendanz von Peter Theiler und auf ein gutes Jahrzehnt der Sächsischen Staatskapelle Dresden mit ihrem Chefdirigenten Christian Thielemann zurückblicken. Für die Zukunft müssen wir heute Entscheidungen treffen", betonte Klepsch.

"Wir sehen dabei das, was heute gut ist und denken trotzdem an das Übermorgen der Oper. Und eine Oper in zehn Jahren wird eine andere als die Oper von heute sein: Sie wird teilweise neue Wege zwischen tradierten Opern- und Konzertaufführungen und zeitgemäßer Interpretation von Musiktheater und konzertanter Kunst gehen müssen", erklärte Klepsch weiter. Es gehe darum, die Anziehungskraft für das vielfältige Publikum zwischen gewachsenen Stammgästen und neuen Zielgruppen zu behalten oder zu steigern. Das gelte auch für das Verhältnis zwischen dem gewohnten Besuch im Opernhaus und der Nutzung digitaler Angebote.

Zwischen Theiler und Thielemann waren zuletzt Misstöne vernehmbar gewesen. Theiler widersprach im Februar Darstellungen von Thielemann und dem Orchestervorstand der Staatskapelle, deren Arbeit in der Corona-Pandemie zu behindern. Thielemann hatte sich in einem Zeitungsbeitrag enttäuscht darüber gezeigt, dass es an der Semperoper nicht mehr Anstrengungen gebe, um trotz Corona-Auflagen wieder Aufführungen zu ermöglichen. Theiler hatte daraufhin unter anderem gesagt: "In der Krise zeigt sich das wahre Gesicht der Loyalität."