Ein "Angry Young Man" war er früher, später ein „Grumpy Old Man“. Mürrisch, grantig, aber (meist) grandios. Der König des Caledonia Soul, Säulenheiliger von Musik-Aficionados mehrerer Generationen, Schöpfer eines schwergewichtigen Plattenkatalogs. Doch jetzt haben selbst eingefleischte Bewunderer ihre liebe Not mit Van „The Man“ Morrison, denn auf seinem neuen Doppelalbum mutiert der 75-jährige Nordire vom Querkopf zum Querdenker.
Musikalisch gesehen ist „Latest Record Project Volume 1“ mit seinen 28 (!) Songs Stillstand auf hohem Niveau, mit schönen Balladen und soliden Grooves, textlich aber eine krude Mischung aus Lockdown-Polterei und Corona-Verharmlosung. So fragt sich Morrison mit noch immer Ehrfurcht gebietender Stimme, wo denn all die „Rebellen“ geblieben sind, und beklagt den „teuflischen Druck“. In drei bereits vorab veröffentlichten Songs geht er noch weiter und versteigt sich zur Aussage, dass die Regierung das Volk belüge – und versklave.
Schützenhilfe erhielt Morrison von Duett-Partner Eric Clapton, ebenfalls 75 und Rock-Ikone. Im Song „Stand and Deliver“ wettern die beiden entfesselten Wutbürger gegen das Tragen von Masken, den Polizeistaat, die Rede ist von Willkür, Ketten und – wieder – Sklaverei. „Do you wanna be a free man/or do you wanna be a slave?“ Ansagen, mit denen man auf jeder Corona-Demo punkten würde.
Die verbalen Ausritte von Morrison haben sogar den nordirischen Gesundheitsminister Robin Swann auf den Plan gerufen. Im Magazin „Rolling Stone“ sagte er: „Einiges von dem, was er sagt, ist echt gefährlich. Es könnte Leute dazu bringen, Corona nicht ernst zu nehmen.“ Das sei alles bizarr und unverantwortlich. In Anspielung auf einen berühmten Morrison-Plattentitel („No Guru, No Method, No Teacher“ von 1986) fügte Swann hinzu: „He’s no guru, no teacher.“
Gitarren-Guru Eric Clapton hat übrigens nicht das erste Mal durch problematische Wortmeldungen aufhorchen lassen. Ausgerechnet er, der „White Boy Of Blues“, der Musiker wie Robert Johnson zu seinen Idolen zählt, hielt während eines Konzertes in Birmingham im Jahr 1976 eine rassistische Rede, pries die rechtsradikale National Front an und forderte Ausländer auf, Saal und Land zu verlassen, denn Großbritannien sei weiß und soll es auch bleiben. Schnee von gestern? Erst viele Jahre später hat sich Clapton von seinen „ekelhaften Aussagen“ distanziert und sich auf seine damalige Drogensucht berufen.
Wie dünn die Linie zwischen künstlerischem Querdenken und politisch-ideologischem Dünnpfiff ist, hat auch (Steven Patrick) Morrissey immer wieder bewiesen. In den 1970ern mit „The Smiths“ stilprägend und bahnbrechend für den Brit-Pop, später auch als kontroversieller Solokünstler erfolgreich, hat „Moz“, wie er von seinen Fans genannt wird, immer wieder als Mozzer mit rechter Schlagseite für Schlagzeilen gesorgt.
Zuletzt 2018 in einem aufsehenerregenden Interview mit dem deutschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Nach diesem rief der 62-jährige Brite gleich zum Medienboykott auf, denn „die Presse“ würde ihm ohnehin nie zuhören. Also ging der Brite damals zum bizarren Gegenangriff über und ließ sich von einem Fan für seine eigene Webseite „Morrissey Central“ interviewen.
Im „Spiegel“-Interview breitet sich Morrissey auf mehreren Seiten über den Brexit, Rassismus und den Islam aus. Was den Vorwurf des Rassismus betrifft, meint Morrissey, dass dies nur „die letzte Patrone verrückter Linker“ sei, die nicht zugeben wollen, dass sie genauso denken wie er. Adolf Hitler war in den Augen von Morrissey übrigens auch „ein linker Politiker“.
Besonders festgebissen hat sich der Veganer und Tierrechte-Aktivist am Islam im Allgemeinen und am Halal-Fleisch im Besonderen. Aber nicht nur das rituelle Schächten ist Morrissey zuwider, dem (muslimischen) Londoner Bürgermeister Sadiq Khan spricht er die „intellektuelle Reife“ für dessen Amt ab. Apropos intellektuelle Reife: Die Lieblingspolitikerin von Morrissey ist die ultra-nationalistische Anne Marie Waters, die sogar vom Rechtsausleger Nigel Farage als „Nazi und Rassistin“ bezeichnet wurde.