Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut, und König Saul ist ein Beleg für diese These. Händel hat die grauenhafte Geschichte des Maßlosen, der sich langsam in mörderischen und selbstmörderischen Hass hineinsteigert, im Jahre 1739 komponiert, als Oratorium. Regisseur Claus Guth, der Spezialist für feine Seelendramen aus allen Epochen, hat daraus eine Oper gebaut. Er muss dem packenden Stück, das ohne Erzähler auskommt, keine Gewalt antun, im Gegenteil: Guth führt Händel zu seinen Ursprünge als Opernkomponist zurück.
Man muss die Bühne gar nicht sehen, um die Schrecken zu ahnen, von denen die Bibel erzählt. Mit scharf aus den Saiten gefetzten Tönen zerreißt das virtuose Freiburger Barockorchester die Stille im gähnend leeren Opernhaus. Drei Stunden lang wird Christopher Moulds mit knappen, präzisen Gesten die Spannung anziehen, ehe der packende Opernnachmittag im dünnen Bogengeklapper auf den Notenpulten verebbt, das den verdienten Jubel ersetzen muss. Kameras und Mikrofone aber haben diesen Triumph heutigen Musiktheaters für immer festgehalten.
Saul ist, wie schon bei der Premiere vor drei Jahren, Florian Boesch. Zu Beginn sitzt er neben seinem Speer auf einem Betonblock uns stiert vor sich hin. Da braut sich etwas zusammen. Den Herrischen plagt Eifersucht auf den erfolgreichen jungen Heerführer David und Angst vor Machtverlust und Tod. Boesch verwächst mit der gehetzten Figur auf furchterregende Weise. Wenn er seinen Sohn im Furor auf dem Esstisch schlachtet, bangt der Zuschauer um das Leben Rupert Charlesworths, der mit schönem Tenor als Jonathan dem wilden Vater zu trotzen versucht hatte. Jake Arditti entkommt gleich zwei Mordanschlägen Sauls. David, der Bezwinger Goliaths, beginnt schüchtern. Den Kopf des erschlagenen Feindes mit der klaffenden Stirnwunde knallt der weiche und doch durchschlagskräftige Countertenor seinem König auf den gedeckten Esstisch. Die angebotene ältere Tochter weist er zugunsten der Jüngeren von sich. Dann schlürft er blutig seine Suppe. Auch kein Feiner.
Guth lässt sein Personal und den auf starre Kollektivgesten reduzierten meisterlichen Schönberg-Chor durch Christian Schmidts drehbare Zimmerfluchten wanken. Nur ein Raum sticht heraus: das gepflegte royale Esszimmer mit Rembrandts riesigem Saul-Porträt, bestens geeignet für die wohlerzogenen Hassorgien der zerrütteten Familie. Neben Boesch und den testosterongesteuerten Mannsbildern haben die verschreckten Töchter, Anna Prohaska und Giulia Semenzato, einen schweren Stand. Auf verlorenem Posten schildern sie ihre Nöte und falschen Hoffnungen, ausdrucksstark und wild.
Wie die Produktion zustande kam zeigt ORF 2 am Sonntag dem 2. Mai um 9.05 Uhr in der „matinee“, die ganze Aufnahme sendet die streamingplattform fidelio am 8. Mai um 20 Uhr. Ein absoluter Höhepunkt - nicht nur in kargen Opernzeiten.
Thomas Götz