Superhelden sind ein Spiegel ihrer Zeit. Als Superman im Juni 1938 in seiner finalen Gestalt in „Action Comics 1“ erstmals Autos stemmte als wären sie Federn, stand die Welt am Vorabend des Zweiten Weltkrieges. Das Morden des Ersten Weltkrieges war noch nicht vergessen, auch die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise waren noch immer spürbar, wen wundert es da, dass Jerry Siegel und Joe Shuster diesen Übermenschen als moderne Version eines Herakles erschufen.
„Am Ende der Geschichte ist das Böse besiegt oder zumindest in seine Schranken verwiesen, das erzeugt bei den Lesern und Leserinnen eine enorme Befriedigung. Die Welt ist wieder in Ordnung“, erklärt Ralf Keiser von der Comic-Redaktion des „Carlsen“-Verlages. Superhelden galten über Jahrzehnte als zu schablonenhaft und niemand zweifelte daran, dass mehr Jungs als Mädchen zu den „Schundhefteln“ griffen. Männer wurden darin als männlich dargestellt, was auch immer das war, und Frauen entsprachen einem klaren „Schönheitsideal“: Lange Beine, lange Haare, große Brüste.
Doch die Superhelden und Superheldinnen – ihr Anteil entspricht bei den großen US-Verlagen DC und Marvel ungefähr 25 Prozent – der alten Schule, mit all ihren Traumata und kaputten Lebensgeschichten, haben sich verändert. „Superhelden sind zum einen diverser geworden, was ihre Nationalität oder ethnische Herkunft anbelangt, aber auch in Glaubensfragen. Da gibt es bei Marvel auch eine Muslimin als Superheldin“, sagt Steffen Volkmer von Panini, dem größten Superhelden-Verlag im deutschen Sprachraum. Gemeint ist Kamala Khan, die pakistanisch-amerikanischer Herkunft ist und als Ms. Marvel 2014 in Erscheinung trat. Am Archetypus Captain America wird derzeit in der neuen Disney+-Serie „The Falcon and the Winter Soldier“ die Frage aufgenommen, ob Sam Wilson (gespielt von Anthony Mackie) der erste schwarze Captain sein will. Afroamerikanische, asiatische und Helden der verschiedensten Ethnien gab es schon immer – der von Stan Lee und Jack Kirby erfundene Black Panther der 1960er-Jahre, der afroamerikanische Tyroc als Mitglied der „Legion of Superheroes“ in den 1970er-Jahren oder die Chinesin Monica Chang alias „Black Widow“ von 2009.
Ein Höchststand an Interesse
Neu ist, befeuert durch die unzähligen Filme und Serien aus den Marvel- und DC-Universen, dass Fragen der zum Beispiel afroamerikanischen Identität in Filmen wie „Black Panther“ verhandelt werden und damit eine noch nie dagewesene Aufmerksamkeit erzeugen. Auch die Geschlechtervielfalt, so Comic-Experte Volkmer, nehme zu. Das habe mit einer veränderten Gesellschaft zu tun, aber auch mit einem sich verändernden kreativen Bereich: „Es gibt mehr Künstlerinnen, die eben gerne Superheldinnen kreieren.“ Außerdem sind Comics schon lange keine Jungen-Sache mehr: „Wir haben bei Panini einen fast fünfzigprozentigen Anteil an Leserinnen“, erklärt Volkmer.
Die „Austrian Superheroes“ sind auch ein Beispiel von Diversität: „Captain Austria Jr. entspricht schon mehr dem Heldenklischee, aber der Bürokrat nicht. Auch Lady Heumarkt, die ja eine ehemalige Wrestlerin ist, bricht mit den klassischen Schönheitsidealen der Superheldinnen“, sagt Verlagschef Michael Hafner. Die „Austrian Superheroes“ rund um Captain Austria Jr, der im bürgerlichen Leben Student ist, lassen seit bald sechs Jahren das Österreichische erkennbar werden: Wenn Captain Austria als Superfähigkeit „Wiener Charme“ aufwarten kann, darf das auch als Form von Diversität verstanden werden. „Unsere Helden sind kleinteiliger. Amerikanische Helden sind ja oft Milliardärsgeschichten oder Supererfinder wie Batman und Iron Man“, sagt der Verlagschef.
Der Fall des "Comics Code"
„Außerdem outen sich mehr Helden als schwul oder lesbisch“, betont Volkmer eine wichtige Veränderung. Zwar mag es bei der Batman-Serie der 1960er-Jahre mit Adam West als dunkler Ritter und Burt Ward als Robin auch eine homosexuelle Lesart geben, doch im Comic – und von dort kommen die Superhelden und Superheldinnen – verhinderte der „Comics Code“ in den USA, dass Themen wie Drogenkonsum, Scheidung oder Homosexualität behandelt wurden. Es war nämlich durch diesen 1954 eingeführten Kodex verboten, darüber im Comic zu schreiben. Marvel stieg 2001, DC erst 2011 aus. Bis dahin hieß es auf US-Comics: „Approved by the Comics Code Authority“.
Mittlerweile hat Green Lantern seinen Freund geküsst. Schauspielerin Ruby Rose spielte 2019 eine lesbische Batwoman in der gleichnamigen „Amazon Prime“-Serie. Dass die Heroen mehr LGTBQ+ (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer) werden, ist als Befund richtig. Die Annahme rückt auch deshalb ins Bild, weil die perfekte Maschinerie von Film, Game und Comic einen – wie Volkmer ausführt – „Höchststand an Interesse“ erzeugt. „Der aktuelle Erfolg hat mit dem multimedialen Aufgestelltsein zu tun. Wir bringen bei Panini auch so viele Superheldenserien heraus wie niemals zuvor“, sagt Volkmer. Ralf Keiser vom Carlsen-Verlag gibt zu, dass Helden und Heldinnen „heute psychologisch ausgefeilter“ sind und nicht „mehr so naiv wie am Anfang des Genres“, aber: „Die Art und Weise, wie Superhelden in die jeweilige Zeit eingebunden werden, folgt nicht selten Klischees. Die meisten echten Probleme, nehmen wir nur einmal den Klimawandel, lassen sich nicht wegboxen.“
Ganz dürfen die „Superheros“ (übrigens ein eingetragenes Markenzeichen von DC und Marvel) das Schablonenhafte nicht abstreifen. Wenn Superheldinnen und -helden jetzt auch homosexuell, afroamerikanisch oder muslimisch sind, bleiben sie in gewisser Weise die alten Heroen: Verkleidet, unglaublich stark, sie retten noch immer die Welt und haben eine Geheimidentität wie Bruce Wayne alias Batman. Würden sie Probleme nicht mehr auf einfache Art lösen, wären sie zu menschlich – und das wäre langweilig. Aber sie repräsentieren mehr als jemals zuvor eine diversere Gesellschaft und leisten zwischen Metropolis und Gotham City einen wichtigen Beitrag: Die Welt sieht, dass echte Helden auch LGTBQ+ sind.