Schon mehrmals bewies Christian Kracht sein feines Sensorium für gesellschaftliche Veränderungen oder tektonische Verschiebungen im Literaturreich. Diesmal stand ihm auch der Zufall hilfreich zur Seite. Just jetzt, da eine recht mühsame Debatte über den Stellenwert des autofiktionalen Schreibens geführt wird, platzt er mit „Eurotrash“ wie ein Porzellan-Elefant mitten hinein in einen geistigen Trödelladen. Sein neuer Roman ist der Versuch, weiße oder vielmehr braune Flecken auf der familiären Landkarte aufzuspüren, um sich endlich herausziehen zu können „aus diesen Abgründen“, die „tiefer und elendiger“ nicht hätten sein können.
Road-Trip
Vor allem aber ist es eine Beziehungsgeschichte. Der Ich-Erzähler, der wenig überraschend Christian Kracht heißt, reist mit seiner 80-jährigen Mutter in einem Taxi kreuz und quer durch die Schweiz. Ein Road-Trip, der weit ins Innere, in Zonen der Versäumnisse, der Lügen führt und spät, aber doch, auf oft tragikomische Weise zu einer zuvor nie verspürten Nähe erreicht.
Eine Autofiktion? Vielleicht. Aber wen interessiert das schon bei einem brillanten Erzähler, der mit Wahrheiten und Täuschungen jongliert und jegliche Grenzen zwischen Fakten und Fiktionen souverän, in stets trügerisch leichtem Ton verwischt, um eine, vielleicht seine düstere Vorgeschichte ans Tageslicht zu bringen? Der Großvater war SS-Angehöriger, Krachts Vater scheffelte als Intimus des Medienmoguls Axel Springer Millionen, wurde aber insgeheim stets als neureicher Emporkömmling belächelt.
Bernhard-Furor
Nicht der Ich-Erzähler Kracht, der in seinen Schweiz-Beschimpfungendem Furor von Thomas Bernhard um nichts nachsteht, steht im Mittelpunkt der Geschichte, sondern seine Mutter. Sie ist tablettensüchtig, alkoholkrank, dem Tod näher als dem Leben, der Realität oft fern, aber doch hellwach genug, um zu erkennen, dass ihr Leben vorwiegend geprägt war durch schmutziges Geld und schmutzige Lügen.
„Eurotrash“ wird ausgewiesen als Fortsetzung von Krachts erfolgreichem Debütroman „Faserland“. Das ist wohl eher ein Köder für die Kracht-Kritiker und Gegner; mögen sie doch gierig zuschnappen und falschen Fährten folgen. Die große, unbefangene Mehrheit darf sich auf ein Werk zwischen Traum und Albtraum freuen, geschrieben von einem aalglatten, unfassbaren Autor in ebenso unfassbarer Intensität.
Buchtipp: Christian Kracht. Euotrash. Kiepenheuer & Witsch. 218 Seiten, 22,70 Euro.
Werner Krause