Wenn man dabei war, wie der Autor Abschied genommen hat von dieser Stadt, mit der er und viele seiner Bücher so fest und zwingend verwoben sind; gesehen hat, wie er noch einmal die Gassen und Plätze besuchte, an denen in diesen Romanen Schönes und Schreckliches geschah, dann liest man diese Bücher naturgemäß anders, wissender vielleicht.
Aber mit dem Wissen ist das so eine Sache in der Literatur von Gerhard Roth. Und wohl nicht von ungefähr hat er diesem Roman ein Zitat von Gertrude Stein voranstellt: „Es gibt keine Antwort. Es wird keine Antwort geben. Es hat nie eine Antwort gegeben. Das ist die Antwort.“
Mit „Es gibt keinen böseren Engel als die Liebe“ (ein Shakespeare-Zitat) hat Gerhard Roth den letzten Flügel seines kunstvollen Venedig-Triptychons aufgeschlagen. Am Ende fügt sich alles zusammen, scheinbar. Denn das Verirren und Verwirren, das Tarnen und Täuschen, das rauschhafte Maskenspiel, all das gehört zum Grundriss jenes großen Rätsels, das der Welt- und Menschenbeobachter in großen Zyklen skizziert.
Eine Kriminalgeschichte ist auch diesmal der Untergrund des schwankenden Fundaments: Eine Kunsthistorikerin aus Wien reist nach Venedig und durchstreift die Stadt nach Spuren ihres Mannes, der dort auf mysteriöse Weise ums Leben kam. Die Aufzeichnungen, denen sie folgt, sind in Spiegelschrift verfasst – ähnlich wie die Bücher von Gerhard Roth.
Begonnen hat dieser mosaikhafte Venedig-Zyklus mit der Irrfahrt des Michael Aldrian. Dieser – Souffleur an der Wiener Staatsoper – taucht in der Lagunenstadt unter. Und jetzt, in diesem gefinkelt gesetzten Roman-Schlussstein, wieder auf. Denn im Hotelzimmer der Kunsthistorikerin steht plötzlich sein Koffer, darin Utensilien seines neuen Berufs. Aldrian ist jetzt Zauberer.
Was für eine grandiose Irrfahrt, was für ein herausforderndes, geheimnisvolles Vexierspiel, was für eine sprachmächtige Erkundung Venedigs, jener Bibliothek, in der laut Gerhard Roth nachzulesen ist, wozu der Mensch – im Guten wie im Bösen – fähig ist.
Und die Antwort auf alle Fragen? Es gibt keine. Nur Rätselhaftes. Und einen Schriftsteller, der meisterhafte Grundrisse dazu zeichnet.
Buchtipp: Gerhard Roth. Es gibt keinen böseren Engel als die Liebe.
S. Fischer, 244 Seiten, 23,90 Euro.