Das Wiener Volkstheater hat seine Eröffnungspläne angesichts des dritten Lockdowns adaptiert und wird am 22. Jänner 2021 mit dem Audio-Walk "Black Box" von Stefan Kaegi und RiminiProtokoll in die erste Saison von Kay Voges im sanierten Haus starten. Das wurde am Dienstag bekanntgegeben. "Es gibt kaum einen Ort in Wien, wo man vor Covid sicherer ist, als hier", unterstreicht der Regisseur im APA-Gespräch.
"Die Besucher werden einzeln alle fünf Minuten ins Haus gelassen, jeder trägt Handschuhe und die Kopfhörer sind extra eingepackt", beschreibt er die Situation. "Es wird kaum ein Krankenhaus so stabile Bedingungen anbieten können wie wir auf dieser Tour." Diese führt den einzelnen Besucher in Dutzende Räume des Theaters, wo jeder Einzelne via Kopfhörer Gesprächen lauschen wird, die Kaegi vorab mit einer speziellen Technik aufgenommen hat. So werde der Raumklang identisch abgebildet: "Wenn eine Stimme von hinten kommt, werden Sie sich umdrehen und glauben, Sie haben es mit einem Gespenst zu tun", lacht der Regisseur, der in dieser Saison in der neuen Spielstätte Dunkelkammer auch noch mit "Uncanny Valley / Unheimliches Tal" von Thomas Melle zu Gast sein wird. In "Black Box" sieht er Parallelen zu den "Geisterspielen" im Fußball, nur dass hier dir Protagonisten abwesend und lediglich durch ihre Stimmen im Raum präsent sein werden.
Theater wird zum Museum
Jeder Rundgang ist vorab präzise durchprogrammiert, diverse Sound- und Lichteffekte werden digital gesteuert oder aber von anderen Besuchern, die sich zeitgleich an unterschiedlichen Orten befinden, ausgelöst. "Ich dachte, es wäre interessant, wenn wir das Theater zum Museum erklären und ausstellen, was dort war", erzählt er über die Findung der Idee. "Und vielleicht lernt man dadurch auch, was Theater auch in der Zukunft sein könnte." Bert Brecht habe einmal gesagt: "Erst wenn ein Jahr nicht Theater gespielt wird, wissen wir, was Theater gesellschaftlich wirklich bedeutet." So empfindet Kaegi seine Produktion gewissermaßen als "archäologische Grabung" in einem frisch sanierten Haus, das sich zwar technisch aufgerüstet, aber auch frisch mit Gold verziert präsentiert. "Es ist eigentlich ein toller Moment, da eine Reflexionsfährte durch den Raum zu legen."
Das Theater halle in "Black Box" "von Menschen nach, die nicht mehr da sind". Zugleich könne man "vorfühlen, was da in der Zukunft möglich sein wird." Dafür habe er Gespräche mit mehr als 30 Personen geführt, darunter mit einem Geschichtsphilosophen, einer Psychoanalytikerin oder einem Kind, das einen Inspizienten an seinem Pult befragt. Dort sitzend, werde der Besucher deren Stimmen und jene Geräusche hören, die damals entstanden sind. "Da entstehen ganz schöne Gespräche über Maschinerietheater", freut sich Kaegi. "Es ist tatsächlich so, dass ein ganzes Haus für eine(n) ZuschauerIn spielt." Dabei komme es nie zur direkten Interaktion mit anderen Zuschauern, die man lediglich aus der Ferne sehen wird. Dabei macht jeder denselben Rundgang, wofür es ein "unglaublich präzises Zeitkorsett" brauche, "wann sich wo der Vorhang bewegt oder ein Lämpchen aufleuchtet", so der Regisseur.
"Es ist eine sehr komplexe Aufführung, man schaut hinter die Kulisse und gleichzeitig vor die Kulisse. Das erzeugt im Idealfall, dass man konzentriert merkt, was einem am Theater fehlt." Dabei gehe es um den "auratischen Moment, dass man Zeit und Raum miteinander teilt, dass man etwas anfasst, riecht und sieht. Dann merkt man, dass es ganz gut ist, dass wir die eigenen Wände zugunsten eines geteilten Raums verlassen, der etwas Größeres ist als die eigene Ich-Blase."
Gerade daher ist es ihm so wichtig, "Black Box" trotz der gegenwärtig schwierigen Lage durchführen zu können. "Die Theater sind öffentlich subventioniert, und wenn es der Staat für diese Räume, die so viel besser kontrolliert sind als die Wohnzimmer, wo wir alle Weihnachten feiern wollen, nicht erlaubt, Veranstaltungen zu organisieren, bei denen man niemandem näher kommt als 10 Meter, dann weiß ich auch nicht mehr, warum man diese Räume subventionieren sollte. Dann muss man sagen: Schlagt euch halt die Köpfe ein in eurem Individualismus und Turbokapitalismus. Solange die Menschen noch leben, sollen sie halt einkaufen." Und für den Fall, dass die Kulturstätten bei wachsenden Infektionsraten wieder geschlossen würden, hat Kaegi bereits eine Idee: "Dann sind es eben individuelle Baustellenbegehungen."
Sonja Harter/Apa