Egal ob es sich um den aktuellen ZDF-Mehrteiler „Schatten der Mörder – Shadowplay“ handelt, den Spionagefilm „Bridge of Spies“ von Steven Spielberg, das Dokudrama „Speer und Er“ oder den TV-Zweiteiler „Der Tunnel“ und viele weitere Filme – eine Vielzahl der Produktionen, in denen Sie mitwirkten, spielt in Berlin. Suchen Sie Berlin oder die deutsche Bundeshauptstadt Sie?
SEBASTIAN KOCH: Ne, das ist Zufall. Berlin ist ein Hotspot deutscher Geschichte. Ich lebe ja seit mittlerweile 30 Jahren hier, also schon ziemlich lange. Ich habe den Werdegang der Stadt vom Fall der Berliner Mauer bis heute hautnah miterlebt. Es ist ohnehin eine energiegeladene Stadt, aber einen energiegeladeneren Ort als Berlin 1946 gibt es gar nicht. Die Deutschen, die alles verloren haben. Es gibt keinen Rechtsschutz, keine Polizei, jeder gegen jeden, das war ein purer Überlebenskampf.
Sie spielen in „Shadowplay“ den „Engelmacher“. Eine Figur, die ein kriminelles Netzwerk aufbaut und Frauen, die vergewaltigt wurden, Abtreibungen ermöglicht, aber Sie auch Rache verüben lässt. Sie haben die Rolle sehr zurückhaltend angelegt, warum?
Der Mephisto verführt den Faust ja auch nicht als Teufel, sondern in eloquenten Gesprächen. Was der Engelmacher macht, ist extrem perfide. 1946 wurden 100.000 Frauen vergewaltigt, die Dunkelziffer ist aber viel höher – und so kommt der Engelmacher ins Spiel. Er gibt den Frauen Penicillin und rettet sie tatsächlich von ihrem Leid. Aber er gibt ihnen auch die Möglichkeit, Vergeltung an den Tätern üben zu können. Wenn die Frauen das tun, haben sie sich aber für den Rest ihres Lebens dem Teufel verschrieben. Mit System baut der Engelmacher eine Informationsbeschaffung auf, er sammelt Daten und nutzt sein Wissen aus. Er macht nichts anderes als Google und die großen Firmen. Jede Information, wenn man sie verknüpft, hat eine riesige Dynamik. Das kann eine große Kraft entwickeln. Wir sammeln alles, notieren alles, im schlimmsten Vergleich wie die Gestapo, die Stasi.
Wenn man eine böse Figur wie Hermann Gladow alias „Engelmacher“ spielt, wie gelingt einem der Ausstieg aus der Rolle oder ist das schon Routine?
Ich mach das jetzt seit 30 Jahren. Der Code liegt in der Biografie: Was hat diesen Mann gebrochen, wie muss er sich schützen. Das ist für mich als Schauspieler extrem spannend. Der macht das ja nicht, weil er per se böse ist, der sieht sich ja im Recht. Der Engelmacher, der liebt das Spiel um die Macht, der kann auch verlieren. Der braucht diesen Kitzel, wie ein Spieler, oder ein Vampir.
„Shadowplay“ zeigt ein Nachkriegs-Berlin, das auf der Suche nach sich selbst ist. Die Besatzungsmächte ringen um Einfluss. Berlin erlebt das Wechselspiel von Ordnung und Unordnung, Selbstjustiz und Rache. Es ist ein düsteres Berlin voller zerrissener Figuren. Was macht für Sie den Reiz dieser TV-Serie aus?
Genau das, dass es nicht so greifbar ist. Es gibt keine Ordnung, die erfindet sich neu, die kann in jede Richtung gehen. Da gilt das Gesetz des Stärkeren, der Moralische hat Probleme zum Brot zu kommen. Es sind Intuition und Schnelligkeit gefragt. Es ist eine sehr kreative Zeit, aber auch eine gefährliche, dramatische Zeit. Vor allem für die Deutschen, die diesen abscheulichen Krieg verloren haben.
Sie spielen immer wieder historische Figuren, wie bereiten Sie sich auf die Szenerie oder die Person vor?
Es geht mir meistens um die jeweilige Biografie, das ist dann oft eine psychologische Arbeit. Mich interessiert die Kinderstube der jeweiligen Rolle, woher kommen die großen Verführer? Was treibt die an? Die Historie und die Zeitgeschichte sind natürlich auch wichtig.
Sie sind heuer in die „Academy of Motion Picture Arts and Sciences“ aufgenommen worden, etwas Besonderes oder Berufsalltag?
Das ist etwas Besonderes und natürlich eine Ehre. Es ist schon klasse, dass ich sehr große Filme vorab sehen kann, das macht wirklich Spaß. Ich mache das gerne gemeinsam mit engen Freunden. Wir kochen, schauen uns die Filme an und diskutieren darüber. Dabei kann man Beruf und Freizeit verbinden.