Wenn Sie einem Kind Österreich erklären müssten, was würden Sie sagen?
URSULA STRAUSS: Ich würde sagen: Österreich ist ein Land, das im Herzen Europas liegt, umgeben von vielen anderen schönen Ländern, fast wie beschützt. Eines, das sich aus neun kleineren Ländern zusammensetzt, die alle unterschiedlicher nicht sein könnten, aber trotzdem sehr viel miteinander zu tun haben. Österreich ist ein Melting Pot. Ein Ort, an dem immer schon viele Nationen zusammengekommen sind, sich kennengelernt und vermischt haben und neue Familien gegründet haben. Ein Melting Pot, der trotzdem so tut, als wäre er keiner.
Ein Kind würde vielleicht fragen: Was ist ein Melting Pot?
Ein Mischmasch. Ich würde auch erwähnen, dass Österreich einmal riesig war und jetzt ganz klein ist und dass es darüber nach wie vor ein bisserl traurig ist.
Was genau ist unser Problem mit dem Schmelztiegel?
Na ja, was zum Beispiel ist der Österreicher, was macht ihn aus? Eine historisch gewachsene Mischung aus vielen Nationalitäten: ein Mischmasch eben. Umso absurder, wenn man Schwierigkeiten damit hat, dass neue Leute und dadurch auch neue Inspirationen dazukommen und wiederum neuer Mischmasch entsteht.
Das Kind fragt nach: „Ist dieses Österreich ein guter Ort zum Leben?“
Es ist ein guter Ort zum Leben. Ich hatte das Glück, in eine wunderschöne Natur und eine funktionierende demokratische Struktur hineingeboren worden zu sein. Auf diese Demokratie heißt es sehr, sehr gut aufzupassen. Dabei ist der Hang zum Verdrängen unangenehmer Wahrheiten keine große Hilfe. Man muss sich irgendwann seiner Vergangenheit stellen, um in der Gegenwart in den Spiegel schauen zu können und die Zukunft zu verändern.
Gibt es Momente in Ihrem Leben, in denen Sie patriotisch sind?
Beim Sport, z. B. beim Skifahren oder auch in der Wissenschaft: Ich finde es immer toll, wenn jemand eine Leistung bringt, die außergewöhnlich ist. Dann freue ich mich mit. Besonders stolz bin ich auch auf das österreichische Filmschaffen, das sich international einen Ruf erarbeitet hat, der seinesgleichen sucht. Typisch für Österreich ist, dass man das im eigenen Land gar nicht so wahrnimmt. Das zu ändern, daran arbeitet die Filmbranche mit großer Leidenschaft. Die Aufgabe von Kunst und Kultur ist es ja unter anderem, auf Missstände aufmerksam zu machen, Krusten aufzubrechen oder in die Tiefe zu gehen, Dinge mit Klarheit, Schmerz oder Humor aufzuarbeiten. Das passiert in unserem Land und es macht mich stolz, dass es so viele Künstlerinnen und Künstler gibt, die sich trauen, den Mund aufzumachen oder den Finger in die Wunden zu legen. Ich finde auch, dass wir in puncto Nachhaltigkeit, Innovation oder Regionalität nicht die Schlechtesten sind. Es gibt natürlich noch Luft nach oben. Wir müssen uns alle zusammen um diese Erde kümmern. Der Klimawandel ist keine Fiktion, er findet statt und es wird Zeit, zu handeln.
Die Jungen haben das Thema Klimaschutz vorangetrieben. Was wünschen Sie ihnen?
Ein offenes, respektvolles Miteinander. Ich wünsche ihnen Lebensfreude und Durchhaltevermögen. Es ist kein prachtvolles Erbe, das man ihnen hinterlässt. Sie brauchen Mut, Humor, Biss und Tatkraft. Sie stehen vor einer scheinbar unmöglichen Aufgabe.
Sind Sie ein politischer Mensch?
Jeder Mensch, der diese Erde bewohnt, ist ein politischer Mensch. Vielleicht ist es nicht jedem bewusst, aber man kann sich seiner politischen Verantwortung nicht entziehen. Das Volk ist in einer Demokratie das herrschende politische Organ. Man kann sich in einem demokratischen Land dafür entscheiden, ob man wählen geht oder nicht. Das ist eine persönliche Entscheidung, die jeder für sich treffen muss, aber unser direktes politisches Instrument sind Wahlen. Jeder, der dieses Recht nicht wahrnimmt, glaubt offenbar, nichts verändern oder nicht mitbestimmen zu können. Dabei zählt wirklich jede Stimme. Wer allerdings sein Recht nicht in Anspruch nimmt, braucht halt dann auch nicht „sudern“.
Dabei hat man in Österreich ein natürliches Talent zum Sudern!
Sudern ist ja auch herrlich! Man muss auch Druck ablassen können. Ich mag mich auch lieber, wenn ich mich nicht beschwere. Aber es gehört zum Menschsein dazu, sich manchmal zu erleichtern und Dinge, die einem nicht passen, auszusprechen. Oft wird einem gerade dadurch erst bewusst, was der Kern des Problems ist, und man entwickelt sich weiter oder ändert etwas am eigenen Verhalten oder der Situation. Sudern kann also sehr lehrreich sein.
Diese Pandemie zeigt auch, dass die Kulturnation porös ist.
Ja, das stimmt. Die Kulturschaffenden allerdings wissen das schon ein bisschen länger. Jetzt durch diese Krise wissen die anderen auch, dass es vieles gibt, was im Kulturbereich im Argen liegt.
Und jetzt?
Jetzt, da es alle wissen, kann man offener darüber sprechen und vielleicht auch das eine oder andere an fehlenden oder nicht ausgereiften Strukturen ändern. In dieser Krise liegt auch eine Chance. Allerdings habe ich ein bisschen Angst davor, das wir diese verschludern. Im Verschludern sind wir ja auch ganz gut. Dann kommt wieder eine unserer Lieblingsphrasen zum Einsatz: „Das geht sich schon aus“. Es geht sich eben nicht aus. Also zumindest für viele Künstlerinnen und Künstler, die tolle Arbeit leisten, aber trotzdem in prekären Verhältnissen leben. „Es geht sich schon aus“ ist übrigens einer der Sätze, die unsere bundesdeutschen Nachbarn am meisten belustigen. Er ist mit der Klarheit und Logik, mit der sie unsere gemeinsame Sprache verwenden, nicht vereinbar. Das, zum Beispiel, liebe ich an der österreichischen Interpretation der deutschen Sprache – ihren fantasievollen, dadurch zwar verwascheneren, aber herrlich unkonventionellen Umgang.
Was bräuchte es aus Ihrer Sicht?
Unter anderem bräuchte es im Kulturbereich eine Künstlersozialversicherung, die Kulturschaffenden endlich eine Versicherungsidentität gibt und eine Gemeinschaft schafft, die über die Leute, die auf der Bühne stehen, hinausgeht. Die komplizierte Struktur mit zwei Krankenkassen ist ermüdend, nicht durchschaubar und schafft keine Klarheit. Das bringt so viele Menschen aus unserem Beruf in prekäre Situationen und das wäre nicht notwendig. Unser Beruf ist schwerer einzuordnen, folgt anderen Gesetzen und braucht deshalb einen anderen strukturellen Unterbau. Diese Umstrukturierung braucht aber einen komplett neuen Ansatz, der auf die speziellen Bedürfnisse der Kulturschaffenden eingeht. Ein Kratzen an der Oberfläche wird nichts verändern. Eine auf der Bühne funktionierende Künstlerin wird bei keinem Zuschauer Mitgefühl für ihre eventuell schwierige Privatsituation hinterlassen. Und das ist auch gut so.
Warum?
„The Show must go on!“ Wir stellen uns auf die Bühne, egal, was passiert ist. Unsere Aufgabe ist es die Zuschauer zu verführen und nicht mit der Schwierigkeit unseres Berufs zu belasten. Wir wollen Menschen verzaubern, von ihrem Alltag ablenken ,sie abholen und berühren und ihnen vielleicht eine neue Sicht auf manche Dinge zur Verfügung stellen. Abgesehen davon, wie wichtig der Kulturbereich für andere Wirtschaftszweige ist und dass die Illusion für das Publikum immer aufrechterhalten werden muss, darf man die Situation der Künstlerinnen und Künstler nicht aus den Augen verlieren.
EXTRA:
Ursula Strauss im Gespräch mit Peter Pelinka bei "Was zählt":
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