Das letzte Mal war ich bei Ihnen am Schliersee, jetzt ist das Reisen schwierig. Wo erreiche ich Sie denn gerade?
GERHARD POLT: Ich bin in Terracina, das liegt zwischen Rom und Neapel. Zum Vatikan, wenn ich hinfahren würde, was ich nicht tu, hätt’ ich nur eine Stunde. Mitten im Ort richten s’ übrigens gerade ein Theater her.

Dort könnten Sie auftreten!
POLT: Das wird wohl noch dauern, bis das fertig ist – und ich weiß ja nicht, wie lang ich noch dauer. Ich bin aber schon in Italien aufgetreten. In Neapel, in einer Kapelle mitten in einem Mafiaviertel, da waren damals auch die Well-Brüder dabei. Das ist ein schönes, kleines Theater, das von Roberto Saviano – Sie wissen schon, dem Anti-Mafia-Autor – unterstützt wird.

Was tun Sie denn den ganzen Tag über in Terracina?
POLT: Aufs Meer schauen hauptsächlich. Jetzt fahr ich gleich Olivenöl einkaufen, das bring ich dann mit nach Bayern.

Und arbeiten?
POLT: Ein bissl. Die Well-Brüder und ich haben ja einen Vertrag mit den Münchner Kammerspielen, dass wir noch einmal miteinander eine sogenannte Revue machen. Aber durch den Virus hat sich natürlich alles verschoben.

Bleiben wir beim Virus. Im „Prolog“ zur neuen Platte sagen Sie: „Der Mensch ist ein Paradies für Schädlinge aller Art. Die Bakterien lieben ihn, die Viren…“ Haben Sie eine prophetische Ader?
POLT: Wenn man die Menschen beobachtet und schaut, was sie alles sagen und tun, dann braucht man nur Chronist sein, kein Prophet. Was man als Chronist in der Gegenwart sieht, reicht, da ist die Zukunft schon mit eingeschlossen. „All inclusive“ sozusagen. Dieser Prolog ist natürlich schon vor der Corona-G’schicht entstanden.

„40 Jahre Well-Brüder und Polt“, so auch der Titel der neuen Platte. Wie würden Sie Ihre Partnerschaft mit diesen scharfzüngigen G’stanzlmusikern bezeichnen?
POLT: Wenn man es neutral sagen würde, dann würde man das eine wunderbare Symbiose nennen. Aber in Wahrheit ist es eine tiefverwurzelte Freundschaft. Es hat auch etwas Familiäres, sonst hätt’s wohl nicht so lange gehalten.

Kracht es auch mitunter in dieser Familie?
POLT: Wir haben uns komischerweise noch nie gestritten. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass ich für die Well-Brüder kein Konkurrent bin, meine Musikalität ist nämlich sehr überschaubar.

Gerhard Polt und die Well-Brüder: seit 40 Jahren eine "Familie"
Gerhard Polt und die Well-Brüder: seit 40 Jahren eine "Familie" © KK

Wie hat sich der Humor in diesen 40 Jahren verändert? Haben die Deutschen inzwischen einen – Humor nämlich?
POLT: Wenn mich jemand fragt, wie oder was der deutsche Humor ist, muss ich antworten: Ich habe ihn noch nicht kennengelernt. Ich kenne auch den österreichischen Humor nicht persönlich. Ich kann aber sagen, dass es in Österreich unglaubliche Größen auf diesem Sektor gegeben hat und noch immer gibt. Großartige Humoristen gibt es aber auch in Deutschland, sogar in Norddeutschland, denken S’ nur an den Wilhelm Busch. Ich meine damit, dass man den Humor nie einpackeln sollte in ein nationales Kastl. Einer meiner besten Freunde war der verstorbene Otto Grünmandl, ein Tiroler.

Und dann gibt’s Leute, die sagen: Die Tiroler haben eher keinen Humor. Das bringt nichts! Denn der Tiroler Otto Grünmandl war ein begnadeter Humorist und Menschenkenner. Diese Stereotypen haben ja eine hässliche Kehrseite. Wenn man einem Volk Humor zuschreibt, kann man einem anderen zum Beispiel kollektiv Geldgier unterstellen. Oder nach dem Krieg hat’s bei uns immer geheißen: „Achtung, der Russ kommt!“ Das war dann die Personifizierung des Bösen. Dieses ganze „Wir“ ist mir auch suspekt. Wir Deutsche. Wir Amerikaner? Wer ist das? Das ist schon sprachlich äußerst fragwürdig.

Im „Prolog“ geht es auch um den Menschen und was ihn ausmacht. Von Nestroy gibt es das Zitat: „Der Mensch is‘ gut, aber die Leut‘ san a G’sindel.“
POLT: Eine sehr treffende Feststellung. Humoristen hatten schon immer eine feine Beobachtungsgabe. Auch die alten Griechen und Römer haben schon die Schwächen, die Lächerlichkeit und die Vergeblichkeit des Menschen gesehen und zum Thema gemacht. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Diese Beobachtung beschäftigt meine Zunft seit Jahrtausenden. Humor bedeutet in erster Linie, über soziales Verhalten nachzudenken und über psychologisches Befinden.

Im Titel „Kormoran“, der sich auf der neuen Platte befindet, geht es nur vordergründig um Vogelkunde, in Wahrheit um menschliche „Zugezogene“, die in Europa landen.
POLT: Wenn jemand sagt: „Wir Germanen!“ würde ich ihn gerne fragen: „Ja, sind Sie denn wirklich noch ein echter Germane – und von welchem Stamm? Sind Sie mehr Gote oder Bajuware oder Vandale?“ Der Mensch ist immer gewandert – nicht nur während der Völkerwanderung vor 1500 Jahren. Und wenn jetzt wieder Mauern gebaut werden: Wir wissen ja, was mit Mauern oft passiert.

Die neue Platte erscheint auf dem Label der Toten Hosen. Haben Sie noch immer Kontakt zu Campino & Co.?
POLT: Wir treffen uns zwei, drei Mal im Jahr. Wir haben ja auch zusammen euer Burgtheater entweiht. Das werde ich nie vergessen: das Bürgertum auf der einen Seite – auf der anderen Seite die Punkwelt.

Steckt in Ihnen auch ein Punk?
POLT: Wenn man damit eine innere Haltung versteht, dann kommt das schon hin. Der Punker ist ein Grantler. Er hat einen Grant, weil er halt sieht, dass überall soviel Schmarrn passiert, da muss man schon einmal laut aufschreien. Es ist eine Rebellion, die in einer starken Skepsis wurzelt. Ein Punker ist obstinat, also hartnäckig, störrisch, trotzig. Das ist doch ein schönes Wort, und das sind schöne Eigenschaften.

Auf der Platte gibt’s ein Lied über das „Bayrische Paradies“. Wie schaut Ihr persönliches Paradies aus?
POLT: Ein Paradies gibt es nicht, aber paradiesische Zustände schon. Wenn ich meine selige Ruh’ hab, in einem Biergarten unter einem Kastanienbaum sitz’ und einen Wurstsalat vor mir hab’ und eine Halbe Bier, dann ist das für mich ein paradiesischer Zustand.

© KK

CD-Tipp: Gerhard Polt und die Well-Brüder. 40 Jahre (JPK)