Das Gefühl kennt man aus der Schulzeit. Vorne steht einer, der unheimlich gescheit daherredet, der Wissensvermittlung mit Fremdworten und Schachtelsätzen betreibt, und man weiß: Jetzt sollte man sich eigentlich konzentrieren, sonst verpasst man möglicherweise was. Stattdessen wird man immer müder. Dieses Gefühl konnte man bei der gestrigen Premiere von Gunkls "So und anders" wiederentdecken.

Seit mehr als 20 Jahren ist der Musiker Günther Paal als Gunkl mit seinen Soloprogrammen unterwegs, mit seinen geschliffen formulierten und schnell gesprochenen anspruchsvollen Gedankengängen die grauen Zellen des Publikums in Schwung zu bringen. Dafür wurde er mit dem Österreichischen Kabarettpreis 2018 ausgezeichnet. Der "Spezialist für eh alles" erkunde "zwischen Philosophie, Soziologie und Physik das Prozesshafte unseres Daseins", hieß es damals in der Jurybegründung.

"Abendfüllende Abschweifung"

Auch in seiner neuen "abendfüllenden Abschweifung", die am Mittwoch unter Corona-Bedingungen (Maskentragen bis zu den zwischen einzelnen Besuchergruppen mit seitlichen Plexiglasscheiben versehenen Plätzen) im Stadtsaal Wien Premiere hatte, geht es um Biologie und Sozialpsychologie, Physik und Mathematik, vorgetragen von einem ebenso Wissenden wie Zweifelnden, der angetackert in der Mitte der Bühne steht und sich von dort nicht mehr wegbewegt, während er gedanklich den Boden unter den Füßen verliert. Überraschende Hüftschwünge und kontinuierliche Gestik sind die einzigen Bewegungen, die sich Gunkl erlaubt - vom gelegentlichen Atemholen abgesehen.

Frontalunterricht

Gunkl setzt auf fächerübergreifenden Frontalunterricht, schert sich dabei keinen Deut um Aktualitäten, Pointen oder Bezugspunkte zur derzeitigen Lebensrealität seines Publikums und scheut sich auch nicht davor, eine kleine Hausübung in die Pause mitzugeben. Man möge sich einen außerhalb des unendlichen Raumes gelegenen Punkt denken. Viel Spaß dabei! Geht gar nicht, verrät er nach der Pause: Schon Punkt, Linie und Fläche vermag man sich ohne räumlichen Bezug nicht vorzustellen...

Paul riecht nach Brot

"Wenn der Herbst eine Frau wäre, würde er Paul heißen und nach Brot riechen." Mit diesem Satz hatte Gunkl sein zwölftes Soloprogramm "Zwischen Ist und Soll" begonnen, bei dem er ein persönliches Outing einbaute: Er habe Aspergersyndrom, doch man brauche keine Angst zu haben: "Ich leide nicht darunter. Das tun andere." Sein dreizehntes Programm beginnt mit "Man sollte ab und zu einen Briefträger verprügeln" und leitet sogleich nicht nur eine mit sich selbst geführte Diskussion ein, ob das ein guter Beginn für ein Kabarettprogramm sei, sondern auch darüber, wie sich das mit der Verquickung von Botschaft und Bote so entwickelt hat im Laufe der Zeit.

Von dort wandern Gunkls Gedanken zu Pavianen, zu Kulturleistungen wie Planen, Lernen oder Sprechen ("Ich finde Sprache toll: Man hat was im Mund und wird davon trotzdem nicht dick."). Ausführlich argumentiert er, warum er die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz für gefährlich hält, und empfiehlt für die Bewältigung des Lebens mehr Zweifel der Vermutung als Mut der Verzweiflung. Am Ende der zweimal 45 Minuten bekommt man vom Vortragenden noch mitgegeben, dass Distanz nicht die schlechteste aller menschlichen Errungenschaften sei. So gesehen kann "So und anders" auch als Plädoyer für Distance Learning verstanden werden. Mit "Escape"-Button.