Cesare Lievi hat an der "Met" und an der Scala gearbeitet und war lange Zeit Hausregisseur am Burgtheater. Thomas Bernhard hatte ihn einst Claus Peymann ans Herz gelegt. In Klagenfurt inszenierte der 68-Jährige bereits Verdis „Macbeth“, Bizets „Carmen“ oder Bernhards „Vor dem Ruhestand“. Zuletzt war er hierzulande mit der Luther-Hommage „Hier stehe ich – ich kann nicht anders“ erfolgreich. Kommenden Donnerstag eröffnet der als „Theatermagier“ gerühmte Italiener mit der Richard-Strauss-Oper „Elektra“ die neue Stadttheater-Saison. Für den Regisseur ist es eine Premiere in mehrerlei Hinsicht.

Ist die Klagenfurter „Elektra“ Ihre erste Inszenierung seit dem Lockdown?

CESARE LIEVI: Ja. Ich war bis 25. Februar in Brasilien und hätte danach in Florenz das Opernfestival „Maggio Musicale“ eröffnen sollen, wo jetzt Pereira Intendant ist. Innerhalb einer Woche ist aber alles geschlossen worden. Das ist jetzt meine erste Arbeit. Es es meine erste „Elektra“ und mittlerweile fünfte Strauss-Oper nach Capriccio“, „Die Frau ohne Schatten“, „Ariadne auf Naxos“ und dem „Rosenkavalier“.

Wie haben sich die bisherigen Proben gestaltet?
In Klagenfurt sind die Vorschriften weit weniger streng als in Italien. Man muss hinter der Bühne zwar Maske tragen, und die Akteure sind alle getestet. Aber ich bin überrascht, dass die Leute kaum Angst vor einer Erkrankung haben.

Wäre das aufgrund Ihrer persönlichen Erfahrung angebracht?
Ich lebe ja am Gardasee. Brescia, das 40 Kilometer davon entfernt liegt, war drei Monate lang die Hölle. Die Stadt war menschleer, alle 15 Minuten ist ein Krankenwagen durchgebraust. Es war verrückt. Man muss wirklich vorsichtig sein, denn die Krankheit, selbst in ihrer leichten Form, ist furchtbar. Ich habe durch Corona drei Freunde und etliche Bekannte verloren. In Brasilien sind fast alle meine Freunde krank. Es ist ein Desaster.

Wegen der Pandemie ist die Strauss-Oper „Elektra“, die bekanntlich ein riesiges Orchester verlangt, als semikonzertante Aufführung angekündigt worden. Bleibt es dabei?
Als ich im April darüber informiert wurde, hatte ich bereits ein fertiges Konzept. Dann hat man mir gesagt, dass das Orchester auf der Bühne sitzen wird und nur fünf Meter als Spielraum zur Verfügung stünden. Ich habe damals gesagt: „Wenn ich das mache, dann mache ich es richtig“. Nach fünf Tagen habe ich einen neuen Vorschlag geschickt. Das Konzept, zu dem uns das Coronavirus gezwungen hat, ist interessant geworden. Das Publikum sieht eine richtige Inszenierung. Ursprünglich war die Distanz zwischen Elektra und den anderen Figuren das Thema. jetzt ist es die Enge. Die Inszenierung profitiert auch von der schauspielerischen Kunst von Nicola Beller Carbone. Aber auch die anderen Akteure sind sehr gut.

Das Orchester wird also auf der Bühne sitzen und die Sänger agieren über dem Orchestergraben?
Genau. Das Orchester markiert den Palast des Agamemnon, ist Ort des Mordes und der Rache. Es ist eine große Herausforderung für alle. Auch für den Dirigenten, weil er keinen direkten Sichtkontakt zu den Sängern hat. Dafür sind diese näher am Publikum. Das Publikum sieht alles. Besonders anstrengend ist es für die Hauptdarstellerin, die eine Stunde und 40 Minuten lang ständig präsent ist.

Die „Elektra“ war zuletzt in Salzburg zu sehen und läuft jetzt wieder an der Staatsoper in der Inszenierung von Harry Kupfer. Was macht diese Oper so interessant und vielleicht auch aktuell?
Das Interessante an ihr ist, dass sie nicht aktuell ist. Sie erzählt von einer fernen, vergangenen Gesellschaft, in der noch Blutrache und Chaos herrschten. Wobei der Stoff natürlich auch die Frage stellt, wieviel Rache in der Justiz heute noch drinnen ist. Würde man das Stück modern erzählen, dann riskierte man, Elektra zu einem pathologischen Fall für die Psychiatrie zu machen. Elektra lebt in der Sehnsucht nach Rache für ihren ermordeten Vater Agamemnon, die durch ihren Bruder Orest Wirklichkeit wird. Elektra ist aber weder krank noch böse. Sie denkt nur nach dem alten Gesetz „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.

Das auf Sophokles basierende Hofmannsthal-Libretto führt also nicht lauter miese Charaktere vor Augen, wie häufig zu lesen ist?
Nein. Selbst Klytämnestra hat ihren Grund, Agamemnon zu töten, weil dieser auf dem Weg nach Troja die gemeinsame Tochter Iphigenie opfern ließ, um den Gott des Meeres zu besänftigen. Sie will also nur Rache. Aber Sie werden sehen, am Ende zeigen wir etwas, was nicht im Libretto von Hofmannsthal steht, aber darin gedacht ist: Wenn Orest seine Mutter Klytämnestra umbringt und die von Elektra geforderte Rache vollendet, wird er von den Furien heimgesucht und verrückt.

Rache ist also auch keine Lösung...
So ist es!

Wann werden Sie wieder in Ihrer Heimat inszenieren können?
In Florenz werde ich jetzt die wenig bekannte Donizetti-Oper „Linda di Chamounix“ machen. Premiere ist am 23. Dezember. Ich weiß aber nicht, ob das klappen wird, weil die Italiener sehr vorsichtig geworden sind. Dabei haben wir derzeit – im Vergleich zu Österreich – relativ wenig Neuinfektionen.