Nur das Geräusch peppelnder Bälle dringt eingangs durch den geschlossenen Vorhang zum Publikum. „Mal – Embriaguez Divina“, die neue Arbeit der kapverdischen Choreografin Marlene Monteiro Freitas bei den Wiener Festwochen beginnt in Halle E fast harmlos: Hinter einem Netz spielen Gefängnisinsassen in weißen Strümpfen Volleyball. Der Wärter patrouilliert zwar mit Gewehr, hat aber nichts zu tun. Bis sich einzelne Stück für Stück ein bisschen Freiheit erobern und ausbüxen. Das, was sie als Freiheit deuten, ist jedoch keine. Sie sind in einem strengen, aber bildgewaltigen Bewegungskorsett gefangen. Einem, in dem marschiert, patrouilliert, getanzt, gerobbt und exerziert wird. Mit ihrem fantastischen neunköpfigen Ensemble zeichnet Freitags düster und bissig nichts geringeres als ein Sittenbild der Menschengeschichte mit Varianten des Bösen nach.
Ihre Waffen: die Blicke, Gesten, die unfassbar starke Körperkunst ihrer Tänzerinnen und Tänzer – und schlichtes weißes Papier. Daraus zimmern sie, auf der Gerichts-, Konzert- oder Schulbank sitzend, Häuser, Schlösser und andere Utensilien ihres Lebens wie Brillen, Krägen oder Kronen. Oder binden es sich als Schleifen über Mund oder Augen. Assoziationen zu Gewalt und Unterdrückung wechseln sich mit erheiternden Bildern ab – wie eine atemberaubende Klatschchoreografie von 18 Händen in lila Plastikhandschuhen zu Tschaikowskis „Schwanensee“. Übersetzt heißt „Embriaguez Divina“ übrigens „Göttliche Trunkenheit“. Und ein bisschen berauscht verlässt man den wunderschönen Abend über das Böse auch.