Sigmund Freuds Behandlungsraum aus dem Jahr 1938 gleicht auf den ersten Blick mehr einem üppig dekorierten Wohnzimmer als einer Ordination. Bücher gibt es wenige, dafür eine Fülle an antiken Sammlungen. Die eng aneinander gereihten Möbel, Polster und Teppiche leuchten in intensiven, dunklen Farben und an den Wänden hängen gerahmte Fragmente pompejanischer Wandmalereien. In der Wärme des Kachelofens, umgeben von Samtkissen und mit einem wulstigen Perserteppich bedeckt, steht das Herzstück des Raumes:die Couch. Das von Freud auch „Diwan“ oder „Ruhebett“ genannte Möbelstück entwickelte sich zum charakteristischen Setting der psychoanalytischen Behandlung.

Doch die Couch ist nicht mehr da. Das dazumal beeindruckende Behandlungszimmer steht heute fast leer, nur eine Schwarz-Weiß-Fotografie aus Sigmund Freuds letzten Tagen in Wien und bauliche Überreste an den Wänden skizzieren den Ort, an dem der Theoretiker mit seiner Familie fast 50 Jahre lang gelebt und gewirkt hatte. Wer sich in der 550 Quadratmeter großen Ausstellung weitere Möbel und Besitztümer der Freuds erhofft, sucht vergebens. Am 4. Juni 1938 verließ die jüdische Familie mitsamt all ihrem Hab und Gut das Haus in der Berggasse und flüchtete mit dem Orientexpress von Wien über Paris nach London ins Exil.

Zurückgeblieben sind die Räume, die heutzutage gerade durch ihre Leere und minimale Einrichtung an die Zeit des Holocaust erinnern sollen: „Das Haus ist ein Mahnmal und die Leerstellen eine Metapher für den Verlust der Kultur und der Menschlichkeit unter dem Terrorregime des Nationalsozialismus“, begründet die Direktorin des Museums, Monika Pessler, die Optik der Ausstellung. Das Innenleben der Räume nachzubauen, wie es vielerorts üblich geworden ist, war ebenfalls nie eine Option. „Wir möchten hier keine Fake-Authentizität schaffen“, so Hauptarchitekt Hermann Czech.

Stattdessen lässt man die Räume für sich sprechen. Das renovierte Bürgerhaus in Wien-Alsergrund verfügt nun über drei neue Dauerausstellungen. Erstmals sind alle Privaträume der Freuds für die Öffentlichkeit zugänglich. Im Hochparterre, der ehemaligen ersten Praxis des berühmten Arztes, befinden sich ausgesuchte Werke der Konzeptkunstsammlung des Museums. Das Stiegenhaus, wo unter anderem die Küche der Freuds stand, ist heute Schauplatz für die Geschichten der vielen Bewohner*innen von der Entstehung des 1890 errichteten Gebäudes bis heute. Ausgewählte Objekte skizzieren Freuds persönliche Leidenschaften, wie das Reisen, Sammeln oder Zigarre rauchen. Darüber hinaus zeigen Filmaufnahmen, kommentiert von Freuds Tochter Anna, die Familie in den 1930er Jahren. Eine einjährige Sonderausstellung stellt außerdem moderne Psychoanalytiker des 21. Jahrhunderts vor, deren weiterentwickelte Theorien bedeutend für die zeitgenössische Gesellschaftsstruktur sind.

Die Kosten für den durch Covid-19 verzögerten Umbau belaufen sich auf rund vier Millionen Euro. Finanziert wurde das Projekt durch die Stadt Wien, den Bund, private Unterstützer und Eigenmittel der Sigmund Freud Privatstiftung. Nach eigenen Angaben ein Ding der Selbstverständlichkeit. Das Sigmund Freud Museum habe heute eine ebenso wertvolle Stellung wie zur Ersteröffnung vor rund 50 Jahren. Nicht nur als Ursprungsort der Psychoanalyse, sondern vor allem als richtungsweisende Gedenkstätte. Direktorin Pessler bezieht sich im Gespräch dabei auf die kürzlichen Angriffe auf die jüdische Gemeinde in Graz und betont: „Es ist eine wesentliche Aufgabe dieses Hauses, einen Beitrag zu unserer Erinnerungskultur zu leisten und jüdischem Leben in Österreich damit eine Zukunft zu geben.“

Das Museum öffnet am Samstag, den 29. August, um 10 Uhr. Tickets sind auch vorab online erhältlich. Vergessen Sie nicht auf Mund-Nasen-Schutz.