Im August ist das Literaturhaus laut Programmvorschau noch veranstaltungsfrei, im September haben Sie 6 Lesungen geplant, im Oktober bereits 13. Heißt das: alles wieder normal im Literaturbetrieb?
Klaus Kastberger: Wir haben als eines der ersten Literaturhäuser bereits im Juni die damals sehr kurzfristig verkündeten gesetzlichen Möglichkeiten genutzt und in diesem Monat ein sofortiges Programm von vier Veranstaltungen auf die Beine gestellt. Welche Rahmen wir im Herbst haben werden, vermag derzeit noch niemand genau zu sagen. Aber was sollen wir anders tun, als in unserer Planung vom Besten, und das heißt: von den derzeit geltenden Regelungen für Kulturveranstaltungen auszugehen? Es wird mit Sicherheit spezielle Hygienemaßnahmen und Einschränkungen der maximalen Besucherzahl geben. Auf dieser Basis haben wir ab Mitte September bis Ende des Jahres ein Programm mit mehr als 30 hochkarätigen Veranstaltungen geplant. Wir werden damit Anfang September an die Öffentlichkeit gehen und hoffen, dass wir möglichst viel davon dann auch tatsächlich durchführen können.
Im Literaturfestival „Out of Joint“, das Sie Anfang Oktober im steirischen herbst veranstalten, geht es um drängende Zeitthemen: Brexit, Covid, Klimakrise. Können Sie schon mehr darüber erzählen?
Klaus Kastberger: Der Titel dieses Festivals stand schon Ende vorigen Jahres fest. Dann kam Corona und Out of Joint bekam plötzlich eine ganz unmittelbare Bedeutung. Wir wollen uns von der Pandemie nicht von diesen dringlichen Themen abbringen lassen. Darin sind sich alle Beteiligten wie z.B. Clemens J. Setz, der britische Autor Jonathan Coe oder auch Kathrin Röggla einig: Corona lenkt den Blick nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf all jene krisenhaften Erscheinungen, die wir weltweit schon vorher hatten. Auch den Begriff des Ausnahmezustandes, der für unser Festival wichtig ist, gab es schon vorher. Jetzt allerdings hat er einen Inhalt, den sich kaum jemand hat vorstellen können.
Was sind denn die größten Herausforderungen bei der Planung eines coronakonformen Programms?
Klaus Kastberger: Wir verzichten mit ganz wenigen Ausnahmen auf Internationales. Zu unsicher sind die Reisemöglichkeiten im Herbst/Winter. Das ist natürlich absolut keine Dauerlösung. Ansonsten bieten wir wie üblich das Beste aus dem österreichischen Bücherherbst, vieles davon druckfrisch und diesmal auch mit einem verstärkt regionalen Einschlag. Die große Unbekannte ist das Publikum. Es könnte sein, dass es schwierig wird, für manch eine Veranstaltung Karten zu kommen, da wir unseren Saal nur mit weniger als der Hälfte füllen dürfen. Die Bundesmuseen oder die Salzburger Festspiele, die vom internationalen Publikum leben, machen derzeit ja eher schlechte Erfahrungen mit den Besucherzahlen. Unsere Lesungen im Juni hingegen waren voll. Die einhellige Meinung war: Gerade auch die Literatur braucht Präsenz.
Ist davon auszugehen, dass sich der Literaturbetrieb fundamental verändert?
Klaus Kastberger: Viele Literaturveranstalter sind im März auf Streams oder andere digitale Präsentationsformate ausgewichen. Aber das wird relativ rasch fad und es macht sich das Gefühl breit, dass die eigentliche Essenz fehlt. Veranstaltungen sind soziale Events, die eine körperliche Präsenz brauchen. Das Gespräch mit den Autorinnen und Autoren, aber auch den gemeinsamen Drink danach.
Stichwort Literaturveranstaltungen via Zoom: Da kann ich mir gleich ein Audible-Abo nehmen, oder?
Klaus Kastberger: Ich will nicht sagen, dass der Literaturbetrieb, so wir wie ihn kennen, die besten aller möglichen Welten ist. Aber der Widerstand, den gerade dieser Betrieb gegen die vollkommene Aussetzung von Kultur geleistet hat, hat mich schon sehr beeindruckt. Dass beispielsweise der Bachmann-Preis stattgefunden hat, war ein wichtiges Zeichen nicht allein für die Literatur. In unseren Bereichen haben wir es sicherlich auch leichter als etwa in der Oper oder am Theater. Wir sind flexibler, können rasch reagieren. Das müssen wir dann aber auch tun.
Sie haben gemeinsam mit den anderen Juroren die Durchführung des im Frühjahr praktisch schon abgesagten Bachmann-Bewerbs ertrutzt. Die richtige Entscheidung, wie sich herausgestellt hat. Wie ist es, die ganze Veranstaltung in Videokonferenzen absitzen zu müssen?
Klaus Kastberger: In der Videokonferenz, die hier eine immerhin 16 Stunden dauernde Live-Sendung war, habe ich relativ schnell vergessen, dass die Diskussion nur virtuell war. Was aber wirklich gefehlt hat, war die Begegnung mit den Autorinnen und Autoren und das ganze Event rundherum, das Klagenfurt als Ort der Zusammenkunft großer Teile des deutschsprachigen Literaturbetriebes Jahr für Jahr ausmacht. Auch würde ich wetten, dass manch ein Mitjuror weniger quengelig gewesen wäre, wenn es die Möglichkeit gegeben hätte, mit ihm gleich am ersten Tag auf ein Bier zu gehen. Oder meinetwegen auch auf ein sehr teures Glas Rotwein aus der Toskana, wenn ihm das besser geschmeckt hätte.
Als zu Beginn des Lockdowns der ganze Literaturbetrieb noch wie gelähmt erschien, haben Sie 18 heimische Autorinnen und Autoren zu wöchentlich erscheinenden „Corona-Tagebüchern“ eingeladen. Bis Ende Juli gab es 15 Folgen Pandemie, quasi in Echtzeit. Ihr Resümee?
Klaus Kastberger: Unsere Corona-Tagebücher haben eine sofortige Unterstützung für entfallene Lesungen geboten und waren gerade zu Beginn ein Darling der Medien. Bis hinein in den ORF und ins deutsche Feuilleton wurde darüber breit und ausführlich berichtet. Dies wahrscheinlich auch deshalb, weil dieses Projekt eine der wenigen Good News in Zeiten hoher Orientierungslosigkeit war.
Was passiert denn nun mit dem ganzen Konvolut?
Klaus Kastberger: Sinn und Zweck dieses kollektiven Tagebuchs ist es, aus der Gegenwart der Pandemie deren Auswirkungen auf den einzelnen und den Zustand der Gesellschaft festzuhalten. Im Augenblick scheint es mir eher so zu sein, dass man Corona, obwohl eigentlich noch nichts vorbei ist, möglichst rasch wieder vergessen will. Pläne einer Buchpublikationen der Tagebücher haben sich vor dem derzeit merklichen Desinteresse von Verlagen zerschlagen. Bei Out of Joint präsentieren wir daraus eine Auswahl mit anschließender Diskussion. Die entscheidende Frage ist: Was wurde eigentlich aus der Welt von gestern?
Was sagen Sie denn dazu, dass die Kulturszene von Corona zum Teil völlig paralysiert gewirkt hat?
Klaus Kastberger: Corona ist ein Brennglas auf die Gesellschaft. In der Pandemie zeigt sich in aller Deutlichkeit, was bei uns welchen Stellenwert hat. Im allgemeinen Lockdown galt von der Kultur von vornherein als ausgemacht, dass sie vorübergehend verzichtbar ist. Erst im Wiederhochfahren der Gesellschaft kommen jetzt einige drauf, wie eng verflochten die Kultur mit allen anderen gesellschaftlichen Bereichen ist. Es gibt aber auch eine Notwendigkeit von Kultur jenseits der Effekte, die sie auf das Wohl der Wirtschaft macht. Dass darüber in den letzten Monaten so wenig gesprochen wurde, ist schon erstaunlich.
Anfangs hieß es mancherorts, die Literaturszene sei ja am wenigstens betroffen, AutorInnen schreiben halt einfach weiter. Inzwischen ergibt sich ein etwas anderes Bild, auch im Hinblick auf die ebenso betroffenen Veranstalter und Verlage. Um wen müssen wir uns am meisten Sorgen machen?
Klaus Kastberger: Erste Aussagen lassen vermuten, dass der Kultur insgesamt ein heißer Herbst im Sinne eines offenen Verteilungskampfes bevorsteht. Wenn jetzt beispielsweise der Chef der Albertina sagt, dass doch besser die Theater geschlossen bleiben sollten, um durch erhöhte Zuwendungen an ihn sein Museums-Geschäftsmodell zu retten, sieht man doch, wie schlecht es mit der Solidarität unter Kulturschaffenden steht. Die zentrale Frage ist: Wie lange geht das jetzt noch mit Corona? Wenn es noch lange und damit wirklich um die Existenz mancher Institutionen geht, werden wir noch eine richtige Schlammschlacht um Förderungen und Subventionen erleben. Die Literatur wird davon genauso betroffen sein wie alle anderen kulturellen Bereiche.
Im Zuge des Lockdowns haben auch prominente Intellektuelle von einem plötzlichen Unvermögen Bücher zu lesen berichtet. Was halten Sie davon?
Klaus Kastberger: Die Frage ist, welche äußeren Voraussetzungen der einzelne zum Lesen braucht. Wirkliche Konzentration und Kontemplation ließ sich im Lockdown wohl für die wenigsten herstellen. Auch wenn man Zeit hatte, war das Lesen nicht mehr dasselbe wie vorher. Das habe ich auch an mir selbst gemerkt. Ich hatte den Plan, im Urlaub Stifter zu lesen. Dann ist es aber doch das Buch des Grazer Public-Health-Experten Martin Sprenger über seine Sicht des österreichischen Corona-Managements geworden.
Würden Sie es im Ernstfall 2021 wieder so machen?
Klaus Kastberger: Ich glaube, niemand würde bei einem zweiten Lockdown alles gleich machen. Das Besondere am ersten war ja, dass er der erste war und jenseits aller Erfahrungen, die wir bis dato hatten. Und damit eigentlich ein klassisches Thema für die Literatur.
Apropos 2021: Kommt jetzt Corona-Literatur ohne Ende auf uns zu?
Klaus Kastberger: Schwer zu sagen: Was den Herbst 2020 betrifft, glauben Verlage derzeit jedenfalls nicht an die Verkaufbarkeit des Themas. Aber Verlage irren ständig. Das macht mit den Reiz und die Unberechenbarkeit des Literaturbetriebes aus.
Ute Baumhackl