Händels Concerti grossi op. 3 in einer phänomenalen Neuaufnahme
von Martin Gasser
Händels sechs Concerti grossi op. 3 verdanken wir gewissermaßen nicht dem Komponisten, sondern einem findigen Verleger. John Walsh, 1666 vermutlich in Irland geboren, war lange Zeit der Verleger von Händels Werken. 1734 gab er jene sechs Konzerte heraus, vermutlich, ohne dass ihr Urheber überhaupt etwas von ihrer Existenz wusste. Walsh kompilierte diese Sammlung nämlich aus vorhandenen Material, um ein bisschen vom Erfolg mitzunaschen, die die Concerti grossi von Arcangelo Corelli gehabt hatten.
Das heute etwas windig wirkende Manöver war durchaus nicht sittenwidrig: Im 18. Jahrhundert, lange vor der Erfindung der "Originalgenies", bedienten sich auch die Komponisten ihrer eigenen Werke, stellten um, instrumentieren neu und verwerteten gute Ideen in neuen Kontexten. Das Ergebnis dürfte auch Händel überzeugt haben.
Die Akademie für Alte Musik Berlin vervollständigt mit ihrer Neuaufnahme, dieser sechs so heterogen wirkenden Werke (was angesichts ihrer Entstehungsgeschichte ja kein Wunder ist), einen ganz vorzüglichen Händel-Zyklus (der etwa auch die Concerti op. 6 umfasste). Flexibel und elegant, elastisch und farbig klingen die sechs Konzerte unter der Leitung von Georg Kallweit. Die Solobläser sind phänomenal, der ganze Grundduktus hat weder etwas von der etwas nervigen Aggressivität, die andere Ensembles bei dieser Musik walten lassen, aber ist auch niemals gravitätisch. So wundervoll ausbalanciert, so klangschön und lebendig hört man diese Musik selten.
Georg Friedrich Händel. Concerti grossi op. 3. Akademie für Alte Musik. Georg Kallweit. Pentatone. 1 CD, im Stream und als Download.
100 Jahre Salzburg aus den Archiven der Deutschen Grammophon
von Martin Gasser
Das Kunststück, 100 Jahre Festspielgeschichte auf 58 CDs zu komprimieren, ist ein unmögliches. So muss sich eine Edition wie die vorliegende der Deutschen Grammophon darauf beschränken, an einige Höhepunkte des Salzburger Festspieljahrhunderts zu erinnern.
Der Löwenanteil des roten-gelb-goldenen Ziegels ist mit 32 CDs dem Musiktheater gewidmet, wobei die beiden Hausgötter Mozart und Strauss naturgemäß im Zentrum stehen. Den Goldstandard bei Richard Strauss setzte lange Zeit der in Graz geborene Dirigent Karl Böhm. Die vier Strauss-Opern unter seinem Dirigat gehören zu den Prunkstücken der Edition: Man hört die besten Strauss-Sänger (nicht nur) ihrer Generation in Modellaufführungen. Man hört Maria Reining als Arabella, Hans Hotter als Mandryka, Lisa della Casa als Ariadne, Irmgard Seefried als Komponist, Rudolf Schock als Bacchus usw. als „Der Rosenkavalier“ ist gleich zwei Mal vertreten. Mit Karl Böhms Aufführung vom Festival 1969 konkurriert eine von Herbert von Karajan geleitete von 1960. Bei Karajan hört man die Trias Lisa della Casa, Otto Edelmann und Sena Jurinac, während bei Böhm Christa Ludwig, Theo Adam und Tatiana Troyanos zum Einsatz kommen. Viel Diskussionsstoff für Opernfreaks, wer da besser abschneidet.Während die Edition in Sachen Strauss also prunkvoll ausgestattet ist, schaut es bei Mozart dürftig aus: Die enthaltenen Böhm-Interpretationen ("Cosi fan tutte" sowie "Don Giovanni") sind schlecht gealtert. Dagegen bringt der "Idomeneo" ein Wiederhören mit dem immer noch unterschätzen Pulttitanen Ferenc Fricsay.
Die Auswahl richtet sich keineswegs nach den allerbesten Momenten, sondern natürlich danach, was die Deutsche Grammophon im Archiv hat, „Eugen Onegin“ von 2007, Karajans „Don Carlo“-Interpretation von 1958 (und nicht der berühmte aus den 70ern) usw.
Auch die Auswahl der Konzerte belegt, dass diese Edition diverse Schätze aus dem Archiv der einstmals dominanten Plattenfirma neu verwertet, aber niemals eine Übersicht über die Vielfalt der Salzburger Festspiele zu geben vermag. Höhepunkte im Konzertprogramm der Edition ist die legendäre Wagner-Aufnahme von Karajan mit Jessye Norman, Mahlers Symphonie der Tausend geleitet von Leonard Bernstein sowie Aufnahmen von Pierre Boulez mit Strawinsky und Mahler. Aparte Zugabe: ein Tondokument vom „Jedermann“ 1958 mit Will Quadflieg.
100 Jahre Salzburger Festspiele. 58 CDs. Deutsche Grammophon