Frau Peters, wie ist es Ihnen während dieser seltsamen Zeit ergangen?
CAROLINE PETERS: Es war eine Mischung von Gefühlen wie hitzefrei in der Schule, der Triumph, dass ich täglich ausschlafen kann und den ganzen Tag selbst bestimmen kann, was ich tue und was ich lasse, bis hin zu totaler Langeweile, die ich auch als erholsam empfunden habe. Wir (Anm. Partner Frank Dehner) haben viel an unserer Postkarten-Galerie gearbeitet. Dann gab es auch gewaltige Sorgen um die Zukunft, die Eltern und die sozialen Kontakte, die man nicht mehr pflegen kann. Es war ein ständiges Auf und Ab der Emotionen.
Was haben Sie sich nach dem Lockdown als Erstes gegönnt?
An den beiden Abenden, bevor die Restaurants alle geschlossen wurden, haben wir zwei Abendessen gemacht. Und diese haben wir in derselben Besetzung an denselben Orten danach wiederholt. Ich habe mir ein schönes Schnitzel gegönnt.
Sie sind also voll in Österreich assimiliert.
Auf Schnitzel stehen auch Deutsche sehr. Ich kam mir eher deutsch vor, dass ich am ersten Abend im Restaurant ein Schnitzel bestelle. Ein guter, moderner Wiener würde sich das vielleicht nicht nachsagen lassen wollen.
Hat Ihnen das Theater gefehlt?
Es fehlt mir noch und hauptsächlich. Mir fehlen die Vorstellungen, die Kollegen, der Probenprozess. Es sah zwischenzeitlich in den Bemerkungen von Frau Lunacek so aus, als wären wir Leute, die Hausaufgaben machen und mit Betreuern auf die Bühne geführt werden wie wilde Tiere, um zu lernen, über Stöckchen zu springen. So sehe ich meinen Beruf und meine Zunft mitnichten. Theatermachen ist ein künstlerischer, aber auch ein physisch-sozialer Prozess, der nur mit Proben stattfinden kann und nicht bei einem Zoom-Meeting. Das hat mir in der öffentlichen Diskussion gefehlt, dass uns das abgesprochen wird. Als würden wir nur am Abend in der Vorstellung tun, was uns irgendwer gesagt hat, und als wäre das alles, was wir so draufhaben.
Sie waren davor noch in Elfriede Jelineks „Schwarzwasser“ zu sehen. Wie haben Sie den ersten Jahrestag der Ibiza-Affäre erlebt?
Ich habe sehr viel darüber gelesen und viel darüber gesammelt. Man braucht das, sollte das Stück in den Spielplan zurückkommen. Ich fand die aktuellen Berichte interessant. Das ging von „Haha, das ist ja noch schlimmer, als wir alle dachten“, bis zu „Ein Glücksfall in der österreichischen Geschichte“. Und dann gibt es ja noch diese überdimensionierte, absolute Zustimmung zu Sebastian Kurz, die jetzt durch die Coronakrise herrscht. Und gerade schon wieder nicht herrscht. Alles wechselt jetzt so schnell. Als Frau Jelinek den Text geschrieben hat, war sie nicht begeistert, und das ist auch ein großer Teil des Stückes – eindringlich davor zu warnen, alles so großartig zu finden, was der junge Mann macht. Ich bin gespannt, wie oft die öffentliche Meinung zur Regierung sich noch wandeln wird, bis wir mit dem Stück wieder auftreten werden.
Sie werden, so viel steht nun fest, im August als Buhlschaft im „Jedermann“ in Salzburg zu sehen sein. Gab es schon Proben?
Proben im Burgtheater beginnen frühestens am 2. Juni. Für den „Jedermann“ proben wir im Juni, nehme ich an. Es wird auf jeden Fall spannend, sich mit physischer Distanz im Theater gegenüber zu stehen. Ich empfinde das als großes, soziales Experiment. Oder die Distanzregeln sind bis dahin schon wieder ganz andere. Tests werden auch eine große Rolle spielen.
Wissen Sie, wie mit der Kuss-Szene umgegangen werden wird?
Ich finde, wir haben eine künstlerische Lösung zu finden, die die Zuneigung spürbar macht. Im besten Falle sind alle Schauspieler getestet und man weiß, dass auf dieser Bühne niemand infiziert ist. Für Zuschauer, die distanziert voneinander sitzen, muss es ein komisches Gefühl sein, jemandem zuschauen, der jemanden küsst. Ich bin gespannt, wie wir das mit Regisseur Michi Sturminger künstlerisch angehen.
Diese Rolle misst gerade einmal 30 Sätze. Was hat Sie an der „Jahrhundert-Buhlschaft“ gereizt?
Das ist man als Frau im klassischen Repertoire gewöhnt. Es gibt praktisch keine Rollen für Frauen, die besonders viele Sätze haben. Es gibt drei oder vier und der Rest sind großartige Auftritte im zweiten und vierten Akt. Das ist mein täglich Brot, solange ich mich im klassischen Repertoire bewege. Insofern war das kein Hinderungsgrund zu denken, mir ist die Rolle zu klein. Ich bin ja auch kein Mann! Männer denken das ja ständig. Und wie alle anderen auch, habe ich die Wahl, ob ich mich dem aussetzen will oder nicht. Ich sehe das Ganze auch ein bisschen wie die Prinzessin im Karneval. Es ist eher ein Amt und eine Aufgabe und mehr als eine Rolle. Die Vorstellung, sich in dem ganzen Glamour-Brimborium einmal mittenrein zu begeben, fand ich verlockend.
Stimmt es, dass Sie noch nie mit Tobias Moretti gespielt haben?
Wir kennen uns, aber wir haben tatsächlich weder im Film noch im Theater auf einer Bühne je miteinander gespielt.
Können Sie dem „Jedermann“ irgendetwas Zeitgenössisches abgewinnen?
Im Moment kann ich dem so ein „historical review“ abgewinnen. 1920 haben Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt das erfunden und die gemeinsame Grunderfahrung von allen Europäern waren der überstandene Erste Weltkrieg und die Spanische Grippe. Da erfinden die ein Schauspiel, das sich der Gegenwart verschließt, indem sie ein Mysterienspiel daraus machen. Vor 100 Jahren schon haben sie gesagt, lasst uns lieber 200 bis 300 Jahre zurückgehen, um einen Blick auf unsere Zeit zu werfen. Und sie denken nach über die Verbindung von Geld und Überleben, was sicher 1918 bis 1920 ein Hauptthema von allen Menschen war. An einem ähnlichen Punkt sehe ich uns auch. Wir reden und denken pausenlos nach übers Geld und das Überleben und gleichzeitig war es auch 1920 nicht ungefährlich, auf eine Party zu gehen, Tausende hatten Tuberkulose und Syphilis und es gab keine Medizin. Die Menschen damals waren der Gefahr viel mehr ausgesetzt. Eine Gefahr, die wir jetzt kollektiv erstmals erlebt haben.
Wie haben Sie das erste Jahr unter Martin Kušej erlebt?
Es entfällt jeglicher Betrachtung, dadurch, dass es im vollen Run so einfach verschwunden ist. Das ist ganz merkwürdig. Es war alles neu, so, als wäre man in eine neue Klasse an eine neue Schule gekommen. Man braucht ein Jahr, bis es einem vertraut vorkommt, und dieses Jahr hat in der Mitte aufgehört.
Am 5. Juni zeigt der ORF die Culture-Clash-Komödie „Womit haben wir das verdient?“ Was mögen Sie daran?
Ich liebe intelligente Komödien, die ein echtes Thema behandeln, mit denen sich sehr viele Leute auseinandersetzen und beschäftigen. Im Witz und im Lachen lassen sich so viele Sachen leichter entäußern als in einer streitbaren Diskussion.