"Eine Blume bleibt, eine Hand sucht die Geschichte der anderen. Die Zeit nimmt uns hin. Ihr einziger Anspruch.“ So heißt es in einem Gedicht von Alfred Kolleritsch. „Jetzt hier“ heißt es, und jetzt und hier ist es traurige Gewissheit geworden. Die Zeit nahm ihn hin, nach jahrelangem Kampf gegen schwere Krankheiten, aber er ertrug sie nicht nur, er tat, was ihn seit Jahrzehnten als Mensch und Vorbild auszeichnete – er leistete Widerstand.

Erst kürzlich veröffentlichte der „Fredi“, wie ihn all seine Freunde und Wegbegleiterinnen stets nur nannten, einen Gedichtband. Und er arbeitete unermüdlich an seinen Tagebüchern, die er möglichst bald veröffentlichen wollte. Das Vorhaben bleibt unvollendet, gewichen ist es der Betroffenheit und den vielen wunderbaren, letztlich ein wenig tröstlichen Bildern der Erinnerung.

Eine Geburtstagsüberraschung: Peter Handke besuchte Alfred Kolleritsch und Andreas Unterweger
Eine Geburtstagsüberraschung: Peter Handke besuchte Alfred Kolleritsch und Andreas Unterweger © KK

Alfred Kolleritsch war ein Monolith, nicht nur in der Literaturlandschaft, der häufig selbst um Sprache ringen musste. Vor allem in der Öffentlichkeit, vor allem, weil es ja in seinen stürmischen Anfangsjahren zahllose erbärmliche Versuche gab, ihn und Gleichgesinnte mundtot zu machen.

Erste Gedichte und Prosaversuche entstanden bereits 1948, die erste öffentliche Lesung fand 1958 in Graz statt. Und bereits 1960 wurde der damals knapp 30-Jährige zum Mitbegründer des im früheren Grazer Stadtpark-Cafe angesiedelten "Forum Stadtpark", dessen Vorsitzender er bis 1995 war. Das Forum war konzipiert als "selbstverwalteter Ort der Begegnung".

Sechs Jahrzehnte hatte er ganz maßgeblichen Anteil daran, dass auch im einstmals verkrusteten, dumpfen, bornierten und reaktionären „Kulturland“ Österreich der Boden für zeitgenössische Literatur aufbereitet werden konnte. Viele Konflikte und Skandale standen am Beginn des Weges, speziell durch die von ihm seit 1960 herausgegebenen „manuskripte“, die in den Anfangsjahren immer wieder Rufe nach Zensur, sogar nach Beschlagnahmung auslösten. Abgesehen davon, dass damals das von ihm mitbegründete Forum Stadtpark in Graz als Ort des Bösen firmierte.

Aber er und seine Dichterfreunde, von Peter Handke, Klaus Hoffer, Wolfgang Bauer bis zu Gerhard Roth, misstrauten dem angeblich gesunden Menschenverstand massiv, der herrschenden Moral noch mehr, daher waren sie weder imstande noch gewillt, lyrische Hausapotheken zu produzieren oder literarische Linderungssalben zu verabreichen. Sie störten, sie störten auf, nach der Maxime: Wer geduckt steht, der will auch andere biegen. Die Pflicht zu einer Haltung gab Alfred Kolleritsch, als Mentor, Förderer, Entdecker neuer Talente, die kaum zählbar sind, in vielfacher Weise weiter.

Werke von Beständigkeit

Dichtern wie Kolleritsch, die mit dem denkbar flüchtigsten Material arbeiten, nämlich mit dem Wort, verdanken wir Werke von wunderbarer Beständigkeit und Dauer, die auch ein legendäres Wort von Hölderlin wieder als angebracht erscheinen lassen: „Was bleibet aber, stiften die Dichter.“ Es dauerte allerdings, ehe sich der Dichter Alfred Kolleritsch auch an eigene Werke wagte. Sein Langzeitfreund Peter Handke war es, der Kolleritsch, geplagt von Schreibhemmungen, den zum Glück für die Literatur folgenreichen „Schubser“ (so Kolleritsch) gab.

Mit 40 Jahren veröffentlichte er seinen ersten Roman, „Pfirsichtöter“, 1972. Fast ein großer Heimatautor wurde Alfred Kolleritsch, wenn wir diese Vokabel nur richtig verstehen, vor allem durch seinen Roman „Die grüne Seite“. Aber eben auch in diesem anderen Verstehen war und blieb der Fredi der größte und wichtigste Lehrmeister.

In Begegnungen erwies sich Alfred Kolleritsch auch abseits der Literatur als großartiger Geschichtenerzähler; er war ein wandelndes Anekdotenbuch, prall gefüllt mit skurrilen wie liebenswerten Begegnungen – etwa mit Thomas Bernhard oder Ingeborg Bachmann. „Wir haben uns ja gut gekannt, aber ich habe mich nie getraut, sie um einen Text für die ,manuskripte‘ zu bitten, sie war ja schon viel zu berühmt und von selbst ist sie leider nie auf die Idee gekommen“, erzählte er einmal schmunzelnd. Und dieses so väterlich-freundschaftliche Schmunzeln wird enorm fehlen. Die Zeit, das Schicksal, die Krankheit, sie nahmen ihn hin. Gestern starb Alfred Kolleritsch im Alter von 89 Jahren. Er ging, um zu bleiben. Für immer.

Reaktionen

Der steirische Kulturlandesrat Christopher Drexler (ÖVP) würdigte Kolleritsch am Freitag Abend als "bedeutendsten Wegbereiter für den heimischen Literaturnachwuchs", der wesentlich dazu beitrug,  Graz und die Steiermark zu einem literarischen Zentrum zu machen: "Er hinterlässt eine große Lücke in der heimischen Literaturlandschaft. Sein Vermächtnis als großer Literat und Förderer der steirischen Nachwuchsschriftsteller wird das Kulturland Steiermark immer prägen." Mit dem biennal vergebenen "manuskripte"-Preis des Landes wolle man ihm "ein ehrenvolles Andenken bewahren und seine Leistungen sowie sein Vermächtnis auch in Zukunft ehren.“

Für den steirischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) war Kolleritsch „einer der ganz großen österreichischen Lyriker und eine herausragende Persönlichkeit der steirischen Kulturszene. Er war ein begnadeter Lehrer und Pädagoge und hatte eine unnachahmliche Gabe die Literatur unzähligen jungen Menschen auf eine spannende Art und Weise näher zu bringen“, so Schützenhöfer: „Der Verlust von Alfred Kolleritsch stellt im Moment einen herben Verlust für die steirische Kultur- und Literaturlandschaft dar. Aber nicht zuletzt durch die rege Lehrtätigkeit von Kolleritsch werden sein Geist und seine Werke noch lange strahlen.“

Auch der Grazer Kulturstadt Günter Riegler (ÖVP) gedachte am Freitag des Autors: „Mit Alfred Kolleritsch verliert die Literaturstadt Graz jenen Mann, dem sie diesen Titel zu einem Großteil verdankt. Sein Wirken lebt nicht nur in seiner Literatur und dem vom ihm gegründeten Manuskripten, sondern vor allem in seinen Schülerinnen und Schülern und von ihm entdeckten und geförderten Autorinnen und Autoren weiter.“ Die Stadt Graz, so Riegler, werde Kolleritsch „stets eine ehrendes Gedenken bewahren.“