Ein musikalisches G’spusi haben Sie mit dem Ernst Molden ja schon länger, jetzt also die erste gemeinsame Platte mit ihm. Es geht in die „Wüdnis“, also in die Wildnis – wohin geht es sonst noch?
URSULA STRAUSS: „Wüdnis“ ist ja nicht nur geografisch gemeint, „Wüdnis“ ist auch ein Ort, der in der Seele der Menschen verankert ist. Es geht auf dieser Platte, in den wunderbaren Liedern des Ernstl Molden also um die Wüdnis in uns selbst und um uns herum. Dieses schöne Wort ist eine vielstimmige Metapher für vieles: für den Zustand der Welt, den Zustand jedes Einzelnen.

Aber „Wüdnis“ muss nicht nur negativ konnotiert sein.
STRAUSS: Absolut nicht! Das Wilde, Ursprüngliche, Ungezwungene steckt genauso in diesem Wort drinnen – aber auch die tiefen Abgründe, die in jedem Menschen wohnen. In der „Wüdnis“ hat also viel Platz – auch das Unperfekte.

Gutes Stichwort. Ich nehme an, dass sowohl Sie als auch der Ernst Molden das Unperfekte, Unpolierte sehr mögen.
STRAUSS: Da nehmen Sie richtig an! Was mich betrifft: Durch meine mangelnde Kompetenz beim Singen kommt mir dieses Unperfekte sehr entgegen. Der Ernstl bezeichnet mich immer als Natursängerin. Mit der Unperfektion geht auch ein gewisser Mut einher. Viele fordern ja, auch in der Kunst, das Perfekte ein. Also muss man diese Zurufe auch aushalten. Das Unperfekte beinhaltet für mich auch Wahrhaftigkeit. Man stellt als Künstler etwas zur Verfügung, das durchaus kritisierbar ist.

Ernst Molden hat einmal gesagt, Sie hätten glücklicherweise keine Gesangsausbildung und würden so singen, wie sie sozialisiert wurden. Jetzt drängt sich natürlich die Frage auf, wie Sie denn sozialisiert wurden.
STRAUSS: Ich bin ein Madl vom Land und war als Kind sehr wild, sehr frei. Ich bin ein Kind des Wassers, aufgewachsen an der Mündung von Donau und Erlauf. Auch das ist übrigens etwas, das den Ernst und mich verbindet, diese enge und innige Beziehung zum Wasser. Daraus resultiert eine Gelassenheit, die uns immunisiert gegen die Hysterie der Welt. Andererseits strahlt Wasser nicht nur Ruhe aus, sondern hat auch etwas sehr Tiefgründiges und Gefährliches.

Im Lied „Siedlung“ gibt es die Textzeile: „Wir fliegen miteinander in a oltes Laund drunten am Wossa.“ Das drückt für mich gut die Stimmung des Albums aus. Man ist zwar in der Realität verankert, wird aber von Strauss/Molden in eine Parallelwelt ohne Zeit und Raum entführt.
STRAUSS: Wenn Sie das so empfinden, finde ich das schön. Der Ernst schafft es, sich in einem ganz konkreten, gegenwärtigen Koordinatensystem mit Gassen, Straßen und Plätzen aufzuhalten, aber dennoch zeitlose Lieder zu schreiben. Ich glaube, dass auch die Einfachheit der Musik – nur zwei Stimmen und eine Gitarre – die Menschen berührt und abholt. Viele sagen auch, dass das von den düsteren Themen her eine Coronaplatte sei, was sich schon allein zeitlich nicht ausgeht, weil die Lieder viel früher entstanden sind. Ich glaube, Krisen sind lebensimmanent. Und die Molden-Lieder transportieren eine allzeit gültige Wahrheit.

Sie sind den meisten als Schauspielerin ein Begriff, wann haben Sie eigentlich die Sängerin in sich entdeckt.
STRAUSS: Ich hab schon immer gerne gesungen. In der Schule, bei den Pfadfindern, im Kirchenchor. Später habe ich Gesangsunterricht genommen, aber nur kurz. Das hat mich eher traumatisiert. Seit einigen Jahren macht es mir wieder unheimlichen Spaß zu singen. Ich habe auch keine Angst mehr, weil ich denke: Was soll schon passieren?

Die Lieder auf der Platte strahlen eine Art fröhliche Melancholie aus. Motto: Olles is hin. Aber das Leben ist trotzdem lebenswert.
STRAUSS: Das Vorhandensein von Traurigkeit ist ja die Voraussetzung für einen guten Schmäh, finde ich. Und der beste Schmäh findet im Scheitern statt.

Jetzt sind wir wieder beim Unperfekten.
STRAUSS: Genau. Und außerdem: Glück kann man ja nur empfinden, wenn man die Traurigkeit kennt. Das Leben lebt von Gegensätzen und dem ständigen Konflikt aus Festhalten und Loslassen. Das eigene Scheitern nimmt im Leben einen sehr großen Raum ein. Und wenn man sich damit nicht beschäftigt, kann man auch den Erfolg, das Schöne nicht schätzen.

Wie ergeht es der Schauspielerin und Sängerin mit der derzeitigen Bühnenabstinenz?
STRAUSS: Es ist ein eigenartiger Nirvana-Zustand. Ich versuche trotzdem, den Kopf hochzuhalten.

CD-Tipp: Ursula Strauss/Ernst Molden: "Wüdnis" (Bader/Molden Recordings)

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