Was hat Sie denn die andere über das Leben gelehrt?
VALRIE FRITSCH: Dass man auf Teufel komm raus lieben muss, große Momente immer Momente der Preisgabe sind, wenn man sich selbst der Welt ausliefert, dass man weich trotz Erfahrung sein, und schlussendlich immer denken kann: nichts ist vergebens, keine Hoffnung umsonst. Und ich hab’ gelernt, dass man leben muss, was man leben will, sonst wird man bitter. Und immer ein Keks essen, bevor man die Nerven wegschmeißt.
GUDRUN FRITSCH: Wie bereichernd Sprache sein kann, diese Freude am gegenseitigen Zuwerfen von Ideen im Ping-Pong-Stil. Dass es sich lohnt, große Visionen zu haben, und mit den eigenen Fähigkeiten zielgerichtet zu arbeiten. Valerie hat eindrucksvoll gezeigt, dass es schon in frühen Jahren möglich ist, mit der Figur zu verwachsen, die man sein möchte. Und wie stärkend inneres Wachstum ist, weil es zur Freiheit verdammt.
Was schätzen Sie am anderen ganz besonders?
VALERIE FRITSCH: Da gibt’s so vieles. Ich liebe die kluge, bezirzende Herzlichkeit, und die bummelwitzige Widersprüchlichkeit meiner Mutter: sie ist ein großer, strenger Ordnungsfanatiker, mit dem man sich besser nicht anlegt, lebt aber in einem aberwitzigen Zettelchaos. Und eine Enzyklopädie in Menschenform, ein Nachschlagewerk für schöne Wörter, wenn man sie gerade braucht.
GUDRUN FRITSCH: Valeries besondere Fähigkeit, Dinge neu und anders zu denken und wie nebenbei Denkrillen zu sprengen. Ich bewundere ihr unbändiges Vertrauen ins Leben, die Welt und in sich selbst, aber auch ihr schalkhafter Charme hat`s mir angetan. Superlativisch gut ist sie im Optimieren: Fast alles wird verwertet, mit Butz und Stingel, ob Essen oder Einfälle.
Und welche Eigenschaften teilen Sie so überhaupt nicht?
GUDRUN FRITSCH: Dem Hang zur Inszenierung kann ich nicht viel abgewinnen, dazu fehlt mir der Zugang. Wo wir sehr unterschiedsträchtig sind, ist die Art literarischen Arbeitens. Während Valerie noch im größten Trubel Texte in die Tasten klopft, bleib ich der Handschrift treu und eine Manuskriptlerin aus Überzeugung.
VALERIE FRITSCH: Ich bin in gewisser Weise weitaus unseriöser, auch von den ungebührlichen, skurrilen, dunklen Dingen fasziniert, kann mich für Exzess begeistern, was Dir vollkommen fremd ist, und habe eine Abenteuer- und Reiselust, die Dich immer wieder herrlich entsetzt.
Wie viel von Ihrer Mama steckt in Ihnen, Valerie?
VALERIE FRITSCH: Viele Menschen finden, wir sehen uns sehr ähnlich, und auf manchen Bildern verwechseln wir uns im ersten Moment fast selbst. Die Liebe zur Sprache und Disziplin habe ich geerbt, die humanistische Grundidee, die bei uns zu Hause immer hochgehalten wurde, und eine Art Weltpermeabilität, die einen den Menschen nah macht: drum schreibe ich wohl.
Wenn Sie an Ihre Kindheit denken – welches Bild drängt sich dann unweigerlich auf?
VALERIE FRITSCH: Es war ein großes Urvertrauen, ich war nie für etwas zu klein, durfte immer mit zur Welt, zu beruflichen Terminen, auch zu schwierigen Situationen der Erwachsenen. Mit meiner Mutter sehe ich mich lesend im Garten, mit meinem Vater beim Tauchen und Dachdecken, wie wir verletzte Tiere pflegen, ein paar Jahre selbst mit einer einäugigen Krähe zusammenleben. Ich bin aufgewachsen mit dem Leitspruch, man könne alles sein, wenn man alles dafür tue, aber als ich mit 18 nach Äthiopien aufgebrochen bin, haben sich alle geschreckt, wie ernst ich ihn genommen hatte.
Und deckt sich das mit Ihren Bildern, Frau Fritsch?
GUDRUN FRITSCH: Ja, doch, da deckt sich vieles. Ich habe den ersten Blickkontakt direkt nach der Geburt ganz präsent: dein bewusster Blick und in mir war nichts als eine Woge von fundamentalem Glück. Dann das erste Mal am Meer. Als das Töchterchen mit ersten wackeligen Schritten und in feinen Lederschühchen schnurstracks ins Wasser stapfte und gänzlich unbeeindruckt war vom elterlichen Sirenenton – wegweisend: Es gab schließlich was zu entdecken … Dann mit 18 die Äthiopien-Reise. Uff! Dieser Plan wurde mit beispiellos kantiger Kühnheit kompromisslos durchgesetzt – der Sommer war übertönt von Aufregungen im Hause Fritsch.
Welches Kinderbuch mussten Sie am häufigsten vorlesen?
GUDRUN FRITSCH: „Valerie und die Gute-Nacht-Schaukel“, und „Leopanther“, diese Liebesgeschichte von Pantherdame und Leopardenherr zwischen Bangen und Hoffen und zu guter Letzt Babies: ein gelbschwarzes und ein schwarzgelbes.
Wenn wir 25 Jahre zurückdrehen würden: Wie sah damals ein typischer Muttertag aus?
GUDRUN FRITSCH: Der sah meist aus wie die gelebte Antipode zum Klischee, nämlich kein Kaffee oder zu spät oder schlechter. Das war wohl Widerstand gegen verordnete Mutterliebe, aber der kleinen Anarchistin war ich immer hold; an anderen Tagen nämlich hat sie ganz ohne Anlass liebevoll Blumen gebracht.
Was hat Ihre Mama immer zu Ihnen gesagt, Frau Fritsch – und haben Sie einige dann auch an Valerie weitergegeben?
GUDRUN FRITSCH: Ich war das erste Kind nach schweren Verlusten, was für meine Mutter eine besondere Herausforderung bedeutete. Aber es war mir gegönnt, Menschenliebe, eine humanistische Grundüberzeugung, Empathie und auch die Souveränität unbedingter Gefühle als Haltung zu erfahren und weiterzugeben; und es gab zärtliche Benennungen wie „Fluderwusch“, „wilde Hummel“, „Fräulein Zitzibe“ – Valerie kann ein Lied davon singen und wird in Reisezeiten auch noch „Du verflixte Wanderratte“ genannt.
Sie beide sind auch in der Sprache zu Hause – welche Wörter und Sätze gibt es für Ihre Beziehung?
VALERIE FRITSCH: In der Familie neigen wir alle zur Kosewortübertreibung, benennen einander und den Hund ständig mit viel zu vielen erfundenen Begriffen. Den Hang zu poetischen Wörtern teilen wir, und den Satz, den meine Mutter im Streit benutzt „Sprich nicht im Imperativ mit mir!“ Du hast das Zitat zu Hand, das wir beide mögen.
GUDRUN FRITSCH: „Die Erfahrung, geliebt und bejaht zu werden, bewahrt vor dem Nichts“ –dieser Satz ist essentiell für das Menschsein und jede Beziehung, denke ich.
Hatten Sie immer einen guten Draht zueinander? Wie hat sich Ihre Beziehung mit den Jahren verändert?
VALERIE FRITSCH: Große Nähe erzeugt immer Reibung, es hat einige Male auch fundamental gekracht, aber davor darf man sich nicht scheuen, sonst verliert man einander.
Ihre Romane „Winters Garten“ und „Herzklappen von Johnson & Johnson“ erzählen, ausgehend von Familiensystemen, von Überlebensstrategien, Schuld, Schmerz, Verdrängung – was reizt Sie am System Familie?
VALERIE FRITSCH: Familien sind komplizierte Systeme, voller wechselwirkender Zerbrechlichkeiten und Abhängigkeiten, die einen prägen, sie sind die erste Wirklichkeit, der man nicht entkommt. Manchmal kann man einander die Ähnlichkeiten und manchmal kann man sich das gegenseitige Anderssein nicht gut verzeihen. Über die Generationen vererbt man sich einiges, und nicht alles davon will man haben. Es ist ein Spiel, das nie ausgespielt ist, selbst wenn man glaubt, es durchschaut zu haben, wird stets ein neuer Level freigeschaltet. Und bei allen Komplikationen kann Familie doch ein Ort großer Vertraut- und Beschütztheit sein, und wahnsinnig lustig.
Es gibt ein gemeinsames Buch – den Gedichtband „kinder der unschärferelation“: Wie war diese Zusammenarbeit und wird es so ein Projekt in Zukunft noch einmal geben?
GUDRUN FRITSCH: Die Entstehung war einer Art Ausnahmesituation in der Familie geschuldet. Wir wollten mit dieser poetischen Zwiesprache entgegenhalten und der Wirklichkeit trotzen. Die Idee, gemeinsam ein Kinderbuch zu schreiben, lebt.
Wofür Sind Sie Ihrer Mama heute dankbar, Valerie?
VALERIE FRITSCH: Ich sag’s kurz: Für die erste Kinderwelt, die Bücher, die große Liebe.
Und wofür möchten Sie Ihrer Tochter Danke sagen?
GUDRUN FRITSCH: Ich mehr als Gedicht: Für die vielen Sternschnuppen in unserer Zwiesprache, die lichterkettengleich manch dunkle Stunde erhellen und Raum für Neues geben; für die Phantasie-Köcher und die Lachsack-Rationen und diesen allzeit festen Stand über klüftendem Land. Und für die schiere Tatsache ihrer Geburt, an einem Maisonntag übrigens – dem Muttertag 1989. Eine Glücksinjektion im Wendejahr!