Es scheint eine schicksalshafte Verbindung zwischen dem "Fidelio" und Österreich zu geben. Beethovens Musik, vor allem die 9. Sinfonie, war ja immer schnell bei der Hand, wenn es darum ging, historische Momente zu markieren. So etwa auch am 5. November 1955, als die Wiener Staatsoper nach Österreichs Nazi-Besatzung, Krieg und Befreiung durch die Alliierten ihre Wiedererrichtung feierte - mit Beethovens "Fidelio" (den Besetzungszettel der spektakulären Galapremiere finden Sie hier).
Gerade in Zeiten, in denen nichts mehr normal ist, in denen auch die Opernhäuser als ernste Zeugen einer verlorenen Normalität still dastehen, in Zeiten, die demonstrieren, wie brüchig unsere Wohlstandsgesellschaft ist, während die Solidarität zu neuen Höhenflügen ansetzt, gerade jetzt ist es wieder Beethovens Musik, die aus der Stille zu uns dringt. Eine solch pathetische Formulierung sei verziehen, denn die Konstellation ist einfach zu unglaublich. Dabei ist der Fernsehabend nur Resultat "ganz gewöhnlicher" Beethoven-Feierlichkeiten zum 250. Geburtstag des Komponisten, der natürlich in Wien besonders intensiv gefeiert wird. Schon im Februar hatte die Urfassung von "Fidelio" in der Wiener Staatsoper Premiere gehabt, am 16. März hätte auch das Theater an der Wien seinen "Fidelio" präsentiert (in Wahrheit die neun Jahre vor "Fidelio" uraufgeführte Zweitfassung der Oper, die noch "Leonore" hieß). Dazu kam es aus hinlänglich bekannten Umständen nicht, man konnte die Arbeit aber dokumentieren, weil man kurzerhand die letzten Proben aufnahm.
Die Bemühungen haben sich ausgezahlt, weil der österreichische Hollywood-Star Christoph Waltz eine überaus eindringliche Inszenierung geschaffen hat. Er hat alle Requisiten entfernt und die Figuren in Uniformen gesteckt, die farblich auf die dominante Bühne des Architekturbüros Barkow Leibinger abgestimmt sind. Das deutsch-amerikanische Architektenduo hat eine Art Wendeltreppe in den Raum gebaut, die man auch als gewaltige Schwingen interpretieren könnte.
Die zweite "Leonoren"-Fassung ist mit ihrer noch stärkeren Betonung der biedermeierlichen, singspielhaften Passagen besonders dazu geeignet, sich stärker mit den Figurenzeichnung zu beschäftigen: Waltz hat hier ganze Arbeit geleistet und nutzt gerade diese oft als schwach bekrittelten Szenen dazu, die ganzen Zerwürfnisse und Konflikte zwischen den Figuren zu verdeutlichen. Das bekommt dieser Oper mit ihrem Hang zu Idealisierung und Klischees sehr gut. Das Ensemble ist sehr ansprechend, ja durchwegs ausgezeichnet. Nicole Chevalier ist eine bewunderswert intensive Leonore, die ihren Sopran bis an die Grenze bringt, Melissa Pétit ist eine darstellerisch und gesanglich überragende Marzelline, Benjamin Hulett ein robuster Jaquino, Christof Fischesser ein exqusiter, nicht poltender Rocco, Eric Cutler ein eher nur solider, weil wenig imaginativ singender Florestan, während Gábor Bretz einen wirklich boshaften, ja diabolischen Pizarro gibt. Fantastisch: die Auftritte des Schoenberg Chors.
Keine Erlösung
Und dass keine spielopernhafte Biederkeit aufkommt, dafür sogt letztlich Dirigent Manfred Honeck am Pult der Wiener Symphoniker: Der setzt Akzente, opfert ihnen aber nicht den stringenten Spannungsverlauf, er setzt auf rasche Tempi und knackige Attacke, ja bisweilen auf aufgeheizte Dramatik. Honecks moderne Lesart schafft es ausgezeichnet, die Anspannung, das beschädigte Seelenleben dieser Gefängniswärter-Milieus herauszuarbeiten. Roccos Gold-Arie (ein Einschub aus der Urfassung der Oper) wird da zum beredten Dokument einer von Gier vergifteten, inhumanen Gesellschaft. Eine Gesellschaft, deren Probleme am Ende nicht so einfach weggewischt werden können. Regisseure misstrauen ja seit einiger Zeit dem Deus-Ex-Machina-Finale der Oper, Christoph Waltz ist da keine Ausnahme. Am Ende tappen alle Figuren plan- und ziellos über die Bühne, von namenloser Freude und Apotheose kann da keine Rede mehr sein - die Rettung, diese Figuren scheinen sie weder zu erlangen noch zu erkennen.