Frau Rabl-Stadler, beginnen wir mit dem Aktuellen. Die Grünen fordern, Plácido Domingo soll bei den Salzburger Festspielen 2020 nicht auftreten. Wie stehen Sie dazu?
Helga Rabl-Stadler: Das ist für uns eine schwierige Situation, aber auch für mich persönlich. Als Frau nehme ich die #MeToo-Bewegung doppelt ernst. Ich kenne aber Plácido Domingo seit 30 Jahren. Er hat mich nicht nur durch seine künstlerische Leistung beeindruckt, sondern durch seine menschliche Qualität. Wir haben in Salzburg nicht die geringsten Hinweise auf ein sexuelles Fehlverhalten. Vor allem - und das ist ja der größte Vorwurf - gab es auf keinen Fall eine Verlinkung zwischen Sex und Machtausübung.
Intendant Markus Hinterhäuser und ich waren uns einig: „In dubio pro reo.“ Solange die Causa nicht bei Gericht sei, würden wir ihn nicht vorverurteilen. Wir sind jetzt dabei, zusätzliche Informationen einzuholen und zu prüfen, was sich durch seine Quasientschuldigung am Dienstag geändert hat.
Wie geht es jetzt weiter?
Wir wollen uns das sehr gut anschauen. Unsere Vorstellung von Verdis „I vespri siciliani“ mit Plácido Domingo ist Ende August. Wir fällen keine vorschnellen Entscheidungen. Es würde Sinn machen, wenn die betroffenen Kulturinstitutionen miteinander reden. Ich brauche auf jeden Fall keine Zurufe aus der Politik, um zu wissen, was ich tun soll.
Hat diese Erklärung Distanz zu Domingo geschaffen?
Das nicht, aber: Wenn er etwas zu den Vorwürfen sagen wollte, warum hat er das nicht schon vor acht Monaten gesagt? Wir holen Informationen ein, wie es zu diesen fast kryptischen Äußerungen Domingos gekommen ist. Er sagt ja auch, nichts getan zu haben, was inkriminiert werden könnte.
Interpretieren Sie es als Schuldeingeständnis?
Man könnte es als Schuldeingeständnis interpretieren, aber man kann es auch anders sehen. Wir werden innerhalb der nächsten 14 Tage entscheiden.
Stellt diese Diskussion für eine Marke wie die Salzburger Festspiele nicht auch ein großes Problem dar?
Lustig ist so etwas nicht. Wir wollen Schlagzeilen mit der Kunst machen und nicht mit etwaigem Fehlverhalten von Künstlern.
Ein weiteres aktuelles Thema ist der Corona-Virus. Wie wird das im Haus diskutiert?
Wir haben heute unsere Mitarbeiter per Mail gebeten, Dienstreisen zu limitieren, sich auf der Website des Außenministeriums über Reisewarnungen zu informieren und bei Krankheit einen Arzt anzurufen. Wird es eine Epidemie oder Pandemie, müssen wir die Herausforderungen bewältigen. Ich muss da an unseren früheren Kaufmännischen Direktor Hans Landesmann denken, der gesagt hat: „Keinen Vorschuss auf Zores geben“. Man muss ganz in Ruhe und in enger Abstimmung mit den staatlichen Stellen agieren. Ich habe das Gefühl, dass wir in Europa mit unserem so gut entwickelten Gesundheitssystem gut aufgestellt sind.
Aber sind sie ein internationales Festival mit Künstlern und Besuchern aus aller Welt.
Wir haben Besucher aus 78 Nationen, davon 40 außerhalb Europas. Man merkt: Das sind die Schattenseiten der globalisierten Welt.
Was hieße eine Absage zum 100er?
Man muss sich nicht den Super-GAU vorstellen. Ich kann mich an keine Absagen bei den Salzburger Festspielen erinnern. Ein einziges Mal hatten wir Angst. Das war im August 2002, als die Salzach fast übergegangen wäre. Ein Gastorchester wohnte auf der anderen Salzachseite und wollte von mir eine Garantie, dass die Salzach nicht übergeht. Bin ich Gott? Eine derartige Überschätzung meiner Person wollte ich bestrafen und gab ihnen die Gaarantie. Dass die Salzach nicht überging, war trotzdem nicht mein verdienst.
Dennoch werden derzeit internationale Kongresse und Messen wegen des CORONA-Virus abgesagt. Was würde es eine Absage des Großteil der Salzburger Festspiele wirtschaftlich bedeuten?
Dass eine Absage nicht spurlos an den Salzburger Festspielen vorbeiginge und uns künstlerisch und wirtschaftlich treffen würde, ist klar. Aber ich bin optimistisch, dass wir zum 100. Geburtstag von oben schon ein bisschen besser beschirmt sind.
Wie abhängig sind Sie von Besuchern aus Fernost?
Kaum. Der Anteil an asiatischem Publikum bewegt sich im einstelligen Prozentsatzbereich. Dennoch ist unser geschäftlicher Erfolg extrem vom Kartenverkauf abhängig. Wir haben eine hohe Eigenwirtschaftlichkeit von 75 Prozent, 50 Prozent unserer Einnahmen kommen aus dem Kartenverkauf. Bei anderen Opernhäusern ist es wesentlich weniger als die Hälfte. Es ist sehr in unserem Interesse, dass möglichst viele Menschen mit uns das 100-Jahr-Jubiläum feiern. Wir sind nach aktuellem Stand so gut gebucht wie noch nie, es bahnt sich ein neuer Kartenrekord an.
Kommen wir zum Programm. Was liegt Ihnen im Jubiläumsjahr am meisten am Herzen?
Ich würde zunächst einmal die „Ouverture Spirituelle“ zu Festspielbeginn empfehlen, die unter dem beziehungsvollen Titel “Pax – Frieden” steht. Wir fangen mit einer Frau an, Mirga Grazinyte-Tyla dirigiert zur Eröffnung Benjamin Brittens „War Requiem“ und geben mit diesem Stück ein klares Statement gegen den Krieg ab. Ich habe in meiner Präsidentschaft das Thema Festspiele als Friedensprojekt immer betont. Je mehr ich mich in die Geschichte vertieft habe, desto mehr fiel mir auf: Der Gründungsgedanke der Salzburger Festspiele entstand nicht, obwohl die Zeit so schlecht war, sondern weil die Zeiten so schlecht waren. Die Gründer träumten von einem Wallfahrtsort, an dem man die Gräuel des Ersten Weltkriegs vergessen kann.
Wir werden zudem vor dem Festspielhaus eine Reihe von Stolpersteinen zur Erinnerung an NS-Opfer verlegen; ein Zeichen, dass wir uns nicht vor den dunklen Seiten unserer Vergangenheit drücken. Und am Vorabend des War Requiems, am Samstag, den 18. Juli eröffnet der Jedermann die Jubiläumsfestspiele mit Jahrhundert-Jedermann Tobias Moretti und der neuen Buhlschaft Caroline Peters. Aber mich dürfen Sie doch nicht fragen, was mir programmatisch am Herzen liegt. Es sind doch alle 222 Vorstellungen unsere Lieblingskinder.
Und Sie spielen „Boris Godunow". Kommt Wladimir Putin zur Premiere?
Es gibt starke Anzeichen, dass Putin kommt. Im Vorjahr waren bereits viele russische Botschafter und Regierungsmitglieder bei den Salzburger Festspielen. Da hatte ich das Gefühl, dass die Stadt unter die Lupe genommen wird.
Finanziert vom russischen Ölkonzern Gazprom. Wie kam es dazu?
Ich durfte Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Vorjahr begleiten, als er Wladimir Putin für 2020 nach Salzburg einlud. Beim Festessen fragte mich Gazprom-Chef Alexej Miller, ob wir Geld bräuchten. Da musste ich wahrheitsgemäß antworten: Ja! Die OMV sagten mir zu, sich die Sponsorsumme von 400.000 Euro mit Gazprom zu teilen. Die beiden Konzerne finanzieren Kulturprojekte in St. Petersburg und in Wien, unter anderem die Rubens-Schau im Kulturhistorischen Museum. Mich hat die Kritik am Gazprom-Sponsoring nicht überrascht, sehr wohl aber, dass die Festspiele mit einem viel härteren Maßstab gemessen werden. Wir sind nicht abhängig von Gazprom, bei einem Sponsorenanteil von 10 Millionen Euro sind 200.000 Euro ein verhältnismäßig kleiner Betrag.
Würden Sie sich freuen, wenn Putin kommt?
Salzburg war immer gastfreundlich. Wir möchten dem Bundespräsidenten zur Seite stehen und dazu beitragen, dass seine Gäste sich bei uns wohlfühlen. Der Bundespräsident hat für die Eröffnung auch den deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier eingeladen. Bundeskanzler Sebastian Kurz wird vor der Festspieleröffnung einen Wirtschaftsgipfel veranstalten. Mir ist es wichtig, dass Salzburg ein wichtiger Begegnunsort für Kunst, Politik und Wirtschaft ist.
Spießt sich Putin nicht mit dem Friedensmotto?
In politisch brisanten Zeiten können nur Kunst, Sport und Handel Brücken bilden. Ich gebe aber zu, dass das angesichts der geopolitischen Lage immer schwieriger wird.
Kommen wir zur Innenpolitik: Die Kultur ist seit einem Monat in neuen Händen. Wie nehmen Sie die neuen politischen Verhältnisse wahr?
Mich haben zwei Punkte im Regierungsprogramm sehr gefreut. Zum einen die Valorisierung für die Kunst. Wenn die staatlichen Zuschüsse valorisiert würden, wäre das ein Meilenstein. Zum anderen, dass für Infrastrukturprojekte in der Kultur Geld fließen soll. Wir brauchen dringend Geld für die Generalsanierung des Großen Festspielhauses. Wenn das nicht klappt, leidet ganz Salzburg. Dann gibt es kein Adventsingen, keine Osterfestspiele, keine Kulturvereinigungskonzerte und keine gewinnbringenden Landestheaterproduktionen auf unseren großen Bühnen.
Wie geht es Ihnen mit den Grünen und deren Skepsis gegenüber etablierter Kultur?
Es gibt einen wunderschönen Spruch des Kulturphilosophen Friedrich Sieburg: „Elite entsteht durch Leistung, Prominenz durch Applaus.“ Der Kreationsprozess in der Kunst ist etwas Elitäres, nichts Demokratisches. Wir, die Veranstalter, haben die Verantwortung möglichst viele Menschen den Zugang zur Kunst zu ermöglichen. Wir haben zum Beispiel das größtes Public Viewing der Welt, das habe ich erfunden. Wenn eine Produktion wie heuer die „Tosca“ mit Anna Netrebko so überbucht ist, dann kann man sagen: Schau’s dir am Kapitelplatz an! Markus Hinterhäuser und ich wollen Festspiele für alle machen.
Der frühere Kulturminister Gernot Blümel ist jetzt Finanzminister. Irgendwelche Wünsche?
Viele. Valorisierung brauchen wir dringend und eben, dass er an unsere Häuser denkt. Wobei: Die sind eh sagenhaft gut gebaut. Wir haben die erste Generalsanierung seit dem Neubau 1960. Und dass man sich des Stellenwerts der Kultur für Österreich im Ausland, aber auch ihrer Bedeutung für das Selbstbewusstsein der Österreicher klar ist.
Gibt‘s Zentralisierungstendenzen in der Kultur?
Da muss ich Gernot Blümel loben. Er hat sich in seiner Zeit als Kulturminister für die Verteilung der Gelder in ganz Österreich ausgesprochen. Auch ich finde falsch, dass alles in Wien konzentriert ist. Aber die Stadt Wien ist auch so großzügig und stellt viel Geld für Kultur zur Verfügung.
Die Initiative von Landeshauptmann Wilfried Haslauer für ein Fotomuseum in Salzburg befürworte ich sehr, zumal wir schon einen interessanten Fotobestand haben. Da sollen wir Bundesländer uns auch etwas trauen und gemeinsam auftreten, anstatt als Gegner.
Wird diese Spielzeit unwiderruflich Ihre letzte sein?
Ich habe mich bei der letzten Verlängerung schon fast ein bisschen geschämt, dass ich mich überzeugen habe lassen. Angesichts der vielen Intendantenwechsel fühlte ich mich aber für die Kontinutiät verantwortlich. Die Salzburger Festspiele sind ein Unternehmen. Da kann nicht alle paar Jahre ein neuer Chef kommen. Jetzt sind die Festspiele gefestigt mit einem Intendanten voll der künstlerischen Phantasie und einem kaufmännischen Direktor, der die finanzielle Gebarung fest in der Hand hat. Nachdem ich ein Vierteljahrhundert die Festspiele mitgestaltet habe, gibt es nichts Besseres, als mich im Jubiläumsjahr am 31. Dezember zurückzuziehen. Ich denke an meinen Vater Gerd Bacher, der hat nach seiner Zeit als ORF-Generalintendant alle folgenden Angebote abgeschlagen mit dem Satz: „Ich habe die größte Orgel des Landes gespielt, ich werde nicht Flötenspieler.“
Würde Sie die Kandidatur für die Bundespräsidentenwahl reizen?
Nein. Aber ich würde mich freuen, wenn eine Frau drankommt. Das gibt‘s doch nicht, dass es so schwierig ist, eine Frau in so eine Position zu bringen. Ich freu mich, dass Brigitte Bierlein Bundeskanzlerin der Übergangsregierung wurde. Sie war auch oftmals die Erste, so wie ich. Ich werde mir von ihr Ratschläge holen, wie das ist, wenn man von 180 auf 0 hinuntergeht.
Die Salzburger Festspiele werden nach Ihnen ein Kaliber brauchen. Vielleicht Wilfried Haslauer?
Wir sind sehr glücklich, einen Landeshauptmann zu haben, dem man alles zutraut - den Bundespräsidenten genau so wie den Festspielpräsidenten.
Ist eine Umstrukturierung des Festspieldirektoriums für Sie eine Option? Sie könnten ja den Präsidenten abschaffen.
Ich halte das Festspielgesetz aus dem Jahr 1950 für eine gute Konstruktion. Präsident und Intendant müssen aber harmonieren. Ich würde mir wünschen, dass man sich zuerst über die Rolle des Präsidenten Gedanken macht und dann die geeignete Person sucht.
Bestimmen Sie über Ihren Nachfolger mit?
Nein. Das fände ich auch falsch. In Wirklichkeit freut sich kein Mensch über einen Rat.
Muss der Nachfolger wie Sie ein Außenminister der Festspiele werden?
Es muss jemand sein, der um Akzeptanz für die Festspiele kämpft, gesellschaftspolitisch wie finanziell. Diese Persönlichkeit muss Kontakt zu den Sponsoren haben und gerne um die Welt fahren, auch als Respektbezeugung gegenüber den Gästen aus den anderen Ländern. Das Internationale ist so wichtig, wir sind ja als Leuchtturm europäischer Kultur auf österreichischem Boden gegründet worden. Erst Arturo Toscanini warb 1934 um internationales Publikum - und machte Salzburg für die ganze Welt interessant. Karajan sorgte für den nächsten Internationalisierungsschub.
Was war das Unvernünftigste, das Sie in Ihrer Amtszeit gemacht haben?
Dass ich mich nicht gewehrt habe, als mich Gerard Mortier 1998 ungerechtfertigterweise angegriffen hat. Das hat mich sehr getroffen. Ich habe trotzdem geschwiegen, um den Festspielen nicht durch einen öffentlich ausgetragenen Streit zu schaden.
Sie haben dieser Position aber Bedeutung verliehen.
Vielleicht steht das auch in Zusammenhang mit den häufigen Intendantenwechsel. Immer wieder werde ich gefragt, ob die Festspiele noch ein Modell für die nächsten 100 Jahre sind. Ja, das sind sie! Das Live-Erlebnis ist nicht zu ersetzen. Festspiele als Begeisterungsgemeinschaft, wie es der Kulturphilosoph Bazon Brock nennt. Diese Definition trifft auf mich vollkommen zu. Schon als Kind wusste ich um die Bedeutung der Festspiele, weil mein Großvater 1923 ein Modegeschäft gegründet hatte, dessen Aufstieg nur durch die Festspiele möglich war. Und ich bleibe auch Mitglied dieser Begeisterungsgemeinschaft, wenn ich längst nicht mehr Präsidentin bin.
Sie haben in den vergangenen 25 Jahren auch Einiges mitgemacht.
Ich habe viel mitgemacht. Aber es hat sich ausgezahlt, für die Festspiele und für mich. Ich habe kein Talent zur Frustration, ich erinnere nur die positiven Sachen.
Wo werden Sie denn künftig sitzen?
Das ist ja auch schrecklich. Erstmals seit 35 Jahren werde ich kein Büro mehr haben. Zu den Veranstaltungen gehe ich als einfache Besucherin. Auch das wird Selbstdisziplin erfordern.