Sie war selbst ein „Genie der Verdrängung und Verleugnung“, wie es in dem Stück „Hello Mother, Goodbye Son“ des israelischen Bühnenautors Joshua Sobol einmal heißt: Alice Miller, eine der weltweit am meisten verehrten Psychoanalytikerinnen, die mit ihren Büchern „Das Drama des begabten Kindes“, „Du sollst nicht merken“ oder „Am Anfang war Erziehung“ Kultstatus als Kinderversteherin und -anwältin erlangt hat, war selbst keine gute Mutter. Nach ihrem Tod (Suizid mit 87 Jahren) veröffentlichte ihr Sohn Martin Miller mit dem Buch „Das wahre Drama des begabten Kindes“ seine Sicht der Dinge: sein Leben als geschlagenes Kind eines faschistischen Vaters und einer untätigen Mutter, die ihren Kontrollzwang am Sohn auslebte und mit ihren Kriegstraumata aus dem polnischen Ghetto nicht zurechtkam.
Karin Waldner-Petutschnig