Mit dem alten Genius Loci und mit dem neuen Nobelpreisträger, mit 222 Vorstellungen, darunter fünf Opernneuinszenierungen und zwei Schauspiel-Uraufführungen, sowie mit üppigem Rahmenprogramm feiern die Salzburger Festspiele im Sommer 2020 ihr 100-jähriges Jubiläum. "100 Jahre Festspiele, das ist schon was", bekannte Intendant Markus Hinterhäuser heute, Mittwoch, bei der Jahrespressekonferenz.

"Das ist nicht mehr und nicht weniger als 100 Jahre Kulturgeschichte." Der Blick zurück sei "vitalisierend", so Hinterhäuser, die wesentliche Aufgabe bestehe aber darin, die Festspiele immer wieder in eine neue Gegenwart zu führen. Die Geschichte vom Individuum und der Gemeinschaft, die man mit dem Opernreigen erzählen will, habe mit der Absicht der Festspielgründer zu tun, auf dem "extrem dünnen Eis" der damaligen Zeit "der Welt eine Utopie anzubieten".

Werkkunstzentrale auf österreichischem Boden

Die "Kunst als Friedensbringer" und "Qualität als Programm" bezeichnete Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler als die beiden zentralen Leitlinien, die die Festspiele durch hundert Jahre getragen haben. "Unsere Gründerväter erträumten sich eine Weltkunstzentrale auf österreichischem Boden", weit weg von den "Zerstreuungen der Großstadt". In Salzburg, "weil es das Herz vom Herzen Europas ist".

Die Vision der Gründerväter - Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt - sei nicht nur "ein Friedensprojekt nach dem mörderischen Ersten Weltkrieg" gewesen, so Rabl-Stadler bei der Pressekonferenz, sondern auch ein künstlerisches Statement "eines zum Kleinstaat geschrumpften Österreich". "Heute ist es das größte Klassikfestival der Welt."

Mit Wiederaufnahmen, einer Neueinstudierung, konzertanten Stücken und Neuinszenierungen kommt der Opernsommer heuer auf stolze zehn Titel, in den vier ganz neuen Produktionen - "Don Giovanni", "Elektra", "Boris Godunow" und "Intolleranza 1960" - sieht Intendant Markus Hinterhäuser auch eine Geschichte, die der Gründungsutopie der Festspiele entspricht: vom Individuum zur Gemeinschaft, "von der Leere und dem Nichts eines Don Giovanni zur Nächstenliebe und Toleranz der 'Intolleranza'".

Auftakt mit "Elektra"

Eröffnet wird der Reigen durch "Elektra" mit Franz Welser-Möst am Pult, "einer der profundesten Kenner der Musik von Richard Strauss, der uns in den vergangenen Jahren gezeigt hat, wie und warum man Strauss hören soll", wie Hinterhäuser betonte. In ihrem "Fiebermonolog" sei die Figur der Elektra dem Don Giovanni, seiner Gier und Egozentrik, ebenso unähnlich wie verwandt.

"Don Giovanni", für den Romeo Castellucci und Teodor Currentzis gemeinsame Sache machen, sei "ein niemals zu dekodierendes Geheimnis - wir versuchen es". Zugleich werde die Oper der Auftakt zu einer Aufführung der Da-Ponte-Opern, "in der Zeit, die ich noch hier bin", so Hinterhäuser, "aber nicht als Zyklus, denn sie sind keiner".

Auch "Boris Godunow" von Modest Mussorgski trägt zwar einen Protagonisten im Titel, "doch hat sich Mussorgski wenig für ihn interessiert" - stattdessen trete hier die Masse in den Vordergrund. Die Zusammenarbeit von Christof Loy und Mariss Jansons wird wegen ihres späten Premierendatums nur viermal gespielt, "aber wir werden sie sobald wie möglich wieder aufnehmen, voraussichtlich 2022", versicherte Hinterhäuser.

Eines "der gewaltigsten Manifeste für eine andere, neu gedachte Welt" sieht der Intendant in Luigi Nonos "Intolleranza", die eigentlich keine Oper, sondern eine "szenische Aktion" ist und mit zahlreichen Konventionen des Musiktheaters bricht. Geleitet wird sie von "dem Musiker, der Nono am meisten erspüren kann, und das ist Ingo Metzmacher".

Als "Dreiviertel"-Neuinszenierung möchte Hinterhäuser die "Zauberflöte" gelten lassen, die in einer Neueinstudierung zurückkehrt. "Durch einige sehr unglückliche Dinge ist sie 2018 etwas aus der Spur geraten, das müssen wir im Rückspiegel bekennen - aber ich glaube sehr an die Regisseurin Lydia Steier und an die grundlegende Idee." Mit einer Übersiedlung ins Haus für Mozart, der musikalischen Überantwortung an Joana Mallwitz und vielen anderen Änderungen will man der Produktion "noch eine Chance geben".

Netrebko als Tosca

Von den Pfingstfestspielen übernimmt man wie üblich die Oper, heuer "Don Pasquale", von der Mozartwoche diesmal den "Messias", von den Osterfestspielen anlässlich des Jubiläumsjahres "Tosca" mit Anna Netrebko als in der Titelrolle, wobei es darüber hinaus noch keine Pläne für Kooperationen gibt. Mit dem künftigen Intendanten Nikolaus Bachler habe es "noch keine Annäherung" gegeben, so Hinterhäuser, der aber ebenso wie Rabl-Stadler betonte, sich bei den Osterfestspielen "überhaupt nicht einmischen" zu wollen. Ein Gespräch über das künftige Verhältnis der beiden Festivals werde sicher noch kommen, "weil es kommen muss".

Domingo kommt ebenfalls

Konzertant wird nach derzeitigem Stand auch im nächsten Sommer der von #metoo-Vorwürfen betroffene Placido Domingo in Salzburg auf der Bühne stehen - in Verdis "I Vespri Siciliani". Dies habe man programmiert, bevor die metoo-Debatte Domingo erfasst hat, so Rabl-Stadler, die unterstrich, dass man Domingo "hier nur als besonders wertschätzenden Star ohne Allüren" kenne. "Wir fänden es menschlich unfair und juristisch falsch, Urteile zu fällen, bevor die Causa dort geklärt ist, wo sie hingehört, nämlich vor Gericht."

Als zweite konzertante Oper ist Morton Feldmans "Neither" in der Kollegienkirche programmiert, als Teil der Reihe "Still life - Zeit mit Feldman". "Feldmans Musik ist nichts anderes als bemalte Leinwand", so Hinterhäuser, die Kollegienkirche werde bei dieser Reihe zum "Zentrum für Stille und Schönheit".

Im Schauspiel huldigt man Gründervater Max Reinhardt und dem Phänomen des 100-jährigen "Jedermann". Neben dem eigentlichen Stück - heuer mit Caroline Peters als Tobias Morettis Buhlschaft - gibt es auch noch andere Tischgesellschaften zum Thema: Am Jedermann-Tag, dem 22. August, soll sich ganz Salzburg zu einer solchen verwandeln, darüber hinaus ist eine von Michael Sturminger eingerichtete Lesung mit allen Darstellern, die über die Jahre eine Rolle im "Jedermann" gestaltet haben, geplant.

Ein neues Stück von Peter Handke

Zwei Uraufführungen stechen aus dem Schauspielprogramm heraus. Die laut Schauspielchefin Bettina Hering "lange geplante" Uraufführung von Peter Handkes "Zdenek Adamec" werde in der aktuellen Kontroverse um den Nobelpreisträger Gelegenheit bieten, "sich erneut mit seinem dramatischen Werk auseinanderzusetzen". Das Stück, so Regisseurin Friederike Heller in einer Videoeinspielung, sei nicht zuletzt ein "Fest, das die Sprache feiert, das Miteinander Sprechen, auch über Widersprüchliches und Konfliktbeladenes". Als Darsteller sind unter anderem Matthias Brandt sowie Handkes Frau Sophie Semin angekündigt.

Die zweite Uraufführung stammt von Milo Rau und ist mit dem Titel "Everywoman" natürlich an die Jedermann-Vorlage angelehnt - auch hier lässt eine Protagonistin ihr exzessives Leben im Angesicht des Todes Revue passieren. Mit "Das Bergwerk zu Valun" inszeniert Jossi Wieler eines der kaum gespielten Jugendwerke von Hugo von Hofmannsthal. Noch nie in Salzburg zu sehen waren "Richard III" von Shakespeare und "Maria Stuart" von Schiller. Ersteres wird von Karin Henkel inszeniert, die erneut mit Schauspielerin Lina Beckmann nach Salzburg kommen - und zwar in der Titelrolle. Zweiteres zeigt Martin Kusej in der "mehr als festspielwürdigen Besetzung" von Bibiane Beglau als Elisabeth und Birgit Minichmayr als Maria als Burgtheater-Koproduktion auf der Perner Insel.

Als dritte Säule der Festspiele - bereits seit 1921 - bietet das Konzertprogramm heuer wiederum seinen eigenen Bogen. Er beginnt wie üblich mit der Ouverture Spirituelle, heuer - "ganz im Zeichen des Gründungsgedankens", so Konzertchef Florian Wiegand - unter dem Motto "Pax". Die Huldigung des Friedens bringt freilich auch den Krieg und das Leid und beginnt beim Eröffnungskonzert der Festspiele unter Mirga Grazinyte-Tyla mit ihrem City of Birmingham Symphony Orchestra mit Arnold Schönbergs "Friede auf Erden" sowie Benjamin Brittens "War Requiem". In weiterer Folge würdigt man die eigene Geschichte - etwa im Auftaktkonzert der Wiener Philharmoniker unter Mariss Jansons, den Jubilar Beethoven - mit Igor Levit, der acht Sonatenkonzerte spielt - und mit den üblichen großen Orchestergastspielen.

Großes Welttheater

Rund um die eigentlichen Festspiele wird das Jubiläum auch in einem umfangreichen Festprogramm begangen - mit dem Herzstück der Landesausstellung "Großes Welttheater", die bereits am 25. April 2020 eröffnet wird. Am eigentlichen Festspiel-Geburtstag, dem 22. August, wird im ganzen Festspielbezirk der "Jedermann-Tag" begangen.

"Explosionsartig erweitert", so Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler, hat man das Kinder- und Jugendprogramm. Denn zum Rückblick auf 100 Jahre gehöre es auch "Kraft für die Zukunft zu tanken". Das Programm beginnt bereits im Frühjahr, die Kinderoper im Sommer wird eine Uraufführung von Elisabeth Naske sein.

Infos & Karten: www.salzburgerfestspiele.at