"Ich tanze keinen Walzer, davon wird mir schlecht.“ Die feine Ironie dieser Aussage verrät viel über das Weltbild von Lotte Tobisch. Obwohl sie sich als Opernballmutter mitten im Geschehen befand, sich im Zentrum der sogenannten feinen Gesellschaft Österreichs bewegte, bewahrte sie sich ein kostbares Gut: Distanz.
Die 1926 als Lotte Tobisch-Labotn geborene Wienerin verkörperte rar gewordene Tugenden, die vielleicht zum Besten gehören, was die altösterreichische Tradition bereithält. Der Spross einer Familie, deren Wurzeln sich bis in 13. Jahrhundert zurückverfolgen lassen, hatte eine gute Bildung, schöne Umgangsformen, Noblesse und eine Eigenschaft, die den echten Geistesadel auszeichnet – die Gelassenheit gegenüber den Dingen.
Eine so geballte Ladung Würde, Charme und Humor, eine solche Verkörperung einer Altwiener Salonkultur konnte selbst ein Phänomen wie Richard Lugner (den sie halb liebevoll als „Staats-Wurstel“ bezeichnete) nicht in seine Sphären hinunterziehen. Als Opernballorganisatorin von 1981 bis 1996 neutralisierte Tobisch jene von einer grellen Society produzierten Verwirbelungen, die „ihre“ Veranstaltung bisweilen ins Schlingern zu bringen schienen.
Tobisch selbst pflegte den privaten Umgang mit Männern ganz anderen Schlages. Mit dem Geistesriesen Theodor W. Adorno führte sie lange einen innigen Briefwechsel, der auch als Buch erschienen ist. Wobei der Philosoph der Frankfurter Schule sie offenbar verehrte und abblitzte. (Tobisch: „Der Teddy war ein bissel ein Macho.“) Sie war eine Frau, die früh gelernt hatte, sich zu behaupten. Als Schülerin des Burgmimen Raoul Aslan schaffte sie schnell den Sprung ans Burgtheater, war auch auf den Bühnen von Volkstheater und Josefstadt präsent, später auch im Fernsehen.
Den Nationalsozialismus und Weltkrieg überstand Lotte Tobisch, ohne ihre Haltung verraten zu müssen, ihr jüdischer Stiefvater musste fliehen, für die Nazis hatte sie später noch das schöne Wiener Wort „Bagage“ parat. Da war dann Schluss mit der Gelassenheit. Ihre prominenteste Filmrolle hatte die Frau, die sich später einmal ganz undamenhaft mit einem Neonazi prügeln sollte, ausgerechnet als Hitlers Geliebte Eva Braun in G. W. Papsts „Der letzte Akt“ von 1955.
Die Schauspielerin und spätere Ballmutter war nicht nur mit Geschmack und Geschick gesegnet, sondern auch mit Tatkraft: Tobisch war eine Selfmadefrau, für die Emanzipation keine graue Theorie blieb. Noch im hohen Alter war sie für das Künstlerheim Baden aktiv, wo sie wohnte und am Samstag auch verstarb.
„Für den Opernball bin ich eine Fehlbesetzung“, sagte sie, natürlich nicht ohne Koketterie. Auch dieser Satz ist typisch Tobisch, typisch ironisch. Denn sie war vielmehr die Idealbesetzung für dieses gesellschaftliche Ereignis (Tobisch selbst nannte es eine „Faschingsveranstaltung“). Etwas von der Souveränität Lotte Tobischs färbte auf den Ball ab. In ihr spiegelte sich ein bisschen der Glanz eines längst untergegangenen Wiens, ein sanfter Nachklang einstiger Vornehmheit.