Herr Stermann, man kennt Sie als brillanten Satiriker und Autor meist ironischer Bücher. Dass Sie nun in Ihrem neuen, virtuosen Roman "Der Hammer" dem bedeutsamen steirischen Orientalisten Joseph von Hammer-Purgstall ein Denkmal setzen, überrascht schon sehr. Was inspirierte Sie zu diesem Werk?

DIRK STERMANN: Es war ein Zufall. Eine steirische Freundin führte mich nachts durch die Kellergewölbe der Akademie der Wissenschaften. Ein unglaublicher Ort. An den Decken Fresken, überall Originalmöbel aus dem vorletzten Jahrhundert, in den teilweise noch Arbeitsmaterialien längst verstorbener Wissenschaftler lagen. Dann kamen wir schließlich ins Foyer der Akademie und sie zeigte mir die Büste von Hammer-Purgstall, den ich nur dem Namen nach kannte. „Er war Orientalist und inspirierte Goethe zum Westöstlichen Diwan“, sagte sie. „Und er hatte ein Schloß, dort gab es einen Kuhstall. Vor jede Kuh hatte er einen arabischen Sinnspruch an die Wand geschrieben.“ Ich besorgte mir daraufhin seine Lebenserinnerungen und dann war drei Jahre lang intensiv mit ihm beschäftigt.

Der Roman heißt "Der Hammer". Ihnen ist sicher klar, dass dieses Wort hierzulande mehrere Bedeutungen besitzt und sich auch als Schimpfwort einiger Popularität erfreut. Warum also dieser Titel?

Weil man ihn nur begreifen kann, wenn man weiß, dass er als Hammer auf die Welt kam. Eine Welt, in der man sich als Nichtadeliger schwerer tat, als wenn man einen Titel hatte. Sein Vater wurde erst viel später zum „von Hammer“ und den Namen der Purgstalls mitsamt Schloß bekam er noch viel später dazu. Er war ein Hammer. Von einfacher Herkunft. Und verkehrte mit Kaisern

Schon nach wenigen Seiten wird klar, dass es Ihnen keineswegs nur um eine Lebensgeschichte ging, sondern um ein ebenso fundiertes wie sprachlich und historisch imposantes Sittengemälde der Monarchie rund um den Beginn des 18. Jahrhunderts. War das von Anfang an so beabsichtigt?

Ja. Ich wußte sofort, dass ich wirklich eintauchen möchte in diese für uns fremde Welt. Mit allem, was dazu gehört. Tatsächlich war es eine jahrelange Zeitreise. Eigentlich herrlich, dass man das machen darf.

Faszinierend ist Ihr Gespür für dichte Atmosphäre und Zeitkolorit. Steckt in Ihnen auch ein leidenschaftlicher kakanischer Historiker?

Ich habe ja in Wien Geschichte studiert, wenn auch nicht fertig. Aber begeistert. Und hier ist ja überall Geschichte. Ich habe einmal an einem Abend zufällig zwei sich auch fremde Personen kennengelernt. Im Keller des einen lag der gesamte Nachlaß von Peter Altenberg, die andere hatte den gesamten Nachlaß von Joseph Roth im Keller. So ist Wien. In meiner Heimatstadt Duisburg findet man so etwas nicht in den Kellern

Wie lange dauerten all die Vorarbeiten und Recherchen?

Es war nicht enden wollend. Ich habe eineinhalb Jahre nur gelesen. Und je mehr ich las, umso höher wurde der Stapel der Dinge, die ich noch lesen wollte. Das Schwierige beim Schreiben eines historischen Romans ist es ja, zu begreifen, dass man niemals genug lesen wird. Irgendwann muß man vom Lesen zum Schreiben kommen. Und sovieles, was man beim Lesen gefunden und interessant oder zumindest gschmackig gefunden hat, kann man letztlich gar nicht gebrauchen. Aber es ist großartig, was man durch die intensive Beschäftigung alles erfährt, wonach man gar nicht gesucht hat.

Zurück zu Ihrem Protagonisten Jopeph Hammer. Er war als Orientalist einer der ersten, der mit dem vermeintlich Fremden vertraut machen wollte, er verwies durch eine Vielzahl von Übersetzungen auf die vielen Querverbindungen zwischen dem Abend- und dem Morgenland. All diese Bezüge erkannten fast nur Dichter, allen voran Goethe. Für die Politiker blieb der Orient das Reich der Barbaren. Womit wir ja beim gegenwärtigen Ist-Zustand gelandet sind?

Ja, und gleichzeitig wurde der Orient zu einem Sehnsuchtsort für viele Europäer. Mitte des 19. Jahrhunderts malten unzählige Künstler Ölgemälde mit orientalischen Motiven. Der Orient war nicht nur geheimnisvoll, sondern chic geworden.Im 18. Jahrhundert wiederum ekelten sich die Orientalen ein wenig vor den Europäern, weil sie vergleichsweise so ungepflegt waren und schlecht rochen.


Wien gleicht, wie ja andere Großstädte damals auch, in Ihrem Buch fast einer einzigen Kloake - und die Politik stinkt zum Himmel. Manche Gerüche verfügen über lange Haltbarkeit, oder?

Ja, aber immerhin haben wir heute öffentliche WCs und keine Friedhöfe mehr im innerstädtischen Bereich. Immerhin ist im Hygiene-Bereich viel passiert. Gottseidank. Im 18. Jahrhundert wäre Wien nicht zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt worden. Reisende, die damals nach Wien kamen, berichteten unisono, Wien sei die mit Abstand übelst riechende Großstadt Europas.

Tief im Bewusstsein vieler westlicher Menschen verankert ist es ja, dass aus dem orientalischem Raum fast ausschließlich nur das Böse, Schreckliche kommt. Das schafft ein beständiges Feindbild, auch mit Kalkül und Methode, oder?

Angst vor Fremden wird immer benützt. Vor den Osmanen fürchtete man sich in Österreich ja zurecht, aber im Rest von Europa fürchtete man sich von den Österreichern auch zurecht. Und der Orient? Wurde nach der Niederlage der Osmanen unter den Europäern aufgeteilt. Auch nicht sympathisch. Hammer Purgstall jedenfalls wollte da vermitteln. Uns deren Kultur näherbringen und denen unsere. Er übersetzte ja in beide Richtungen. Darum schätzt man auch heute noch im Orient.


Mitunter gleicht dieser Joseph Hammer fast einem österreichischen Don Quichotte, natürlich mit enorm viel Wissen und Weisheit ausgestattet, aber er kämpft auch, recht aussichtlos, gegen bürokratische Mühlen und hartnäckige, fest verankerte Vorurteile?

Er war aber auch denkbar ungeeignet für den Staatsdienst. Er wollte Botschafter in Konstantinopel werden, aber galt als Querkopf. Zwar klug, aber unbrauchbar für ein System, das von Metternich beherrscht wurde. Da war so ein unbeherrschter Mann wie HP niemals erste Wahl. Darunter litt er allerdings furchtbar. Denn natürlich: klüger als alle die ihm vorgezogen wurden, war er allemal.


Ihre historische Zeitreise führt den Protagonisten auch nach Ägypten, wo er den Krieg zwischen Engländern und Franzosen miterlebt, die Osmanen mischen mit, die Russen sind drauf und dran, einzugreifen. Wer behauptet, dass sich Geschichte nicht wiederholt, ist auf dem Holzweg.

Geschichte ist immer und überall. Übrigens interessant in diesem Zusammenhang. Ursula Stenzel und die jungen Herren mit den strengen Scheiteln haben ja der Türkenkriege gedacht. Interessant, dass die gleichen jungen und auch älteren Herren etwas gedenken, das 1683 stattgefunden hat, gleichzeitig aber sagen, sie seien im Zweiten Weltkrieg nicht auf der Welt gewesen. Geschichte is a Hund.


Inmitten all dieser beklemmenden Ereignisse, die immer wieder Bezüge zur Jetztzeit herstellen, zeigen Sie einen zerklüfteten Protagonisten, der äußerst selbstbewusst auftritt, sich mit Metternich und den geistig unterbelichteten Regenten und Monarchen anlegt, der keineswegs frei von Eitelkeit ist, aber in all seiner Schreib- und Übersetzer-Obsession immer wieder in einem schöngeistigen Parelleluniversum lebt und sich auch durch das Einschlagen einer Kanonenenkugel knapp neben ihm in seiner Arbeit nicht weiter stören lässt.

Ich frage mich, wie HP so unglaublich viel lesen und schreiben konnte. Bei Kerzenlicht! Ich möchte nicht seine armen Augen sein. Dauerentzündet. Dieser Mann war wirklich fleissig. Da brauchte es mehr als eine Kanonenkugel um ihn am Schreiben zu hindern.

Wie würden Sie diesen Joseph Hammer charakterisieren. War er ein letztlich weltfremder Weltverbesserer, bis zu einem gewissen Grad naiv, unfähig, all die Intrigen gegen ihn zu durchschauen? Ist er abgeprallt an der Realität?


Ich denke, ja. Und ihm fehlte auch jede Leichtigkeit. Er war besessen. Von dem, was er tat und von dem, was ihm eigentlich, seiner Meinung nach, zustand.


Was ist für Sie die wichtigste Lektion, die uns Hammer-Purgstall mit auf den Weg gab?

Interesse und Bildung.


Und welche der von ihm vermittelten Weisheiten haben wir gar nicht kapiert? Ist es nicht bezeichnend, dass, wie schon erwähnt, die Befreiung von den Osmanen von den Identitären gefeiert wurde, mit prominenter FPÖ-Beteiligung?

Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass sich die, die da versammelt waren, mit Hammer Purgstall kaum beschäftigt haben bisher. Wer weiß, vielleicht liest der ein oder andere von den Herr- und Damschaften mal meinen Roman. Ich lade herzlich dazu ein.


Uns wird, immerhin, in der Schule nach wie vor vermittelt, dass wir den Osmanen die Kaffeehaus-Kultur verdanken. Aber auch nur die, dann ist Sense.


Hätten die Osmanen Wien erobert, hätten wir heute wie Budapest auch türkische Bäder.

Ein unerfüllbares Wunschdenken, gewiss. Aber wäre es nicht wunderbar, wenn Herr Trump eines Tages aufwachen würde, um sofort ein Gedicht von Hafis zu twittern?


Trump könnte bestimmt besser als Hafis formulieren. So wie er in allem der Beste ist.


Sie haben einen wichtigen historischen Roman geschrieben und keine Biografie. Wie viel dichterische Freiheit gewährten Sie sich?

Nur in soweit, als dass alles, was ich geschrieben habe, theoretisch genau so passiert sein könnte.


Könnten Sie mit der Feststellung leben, die unvollendete Geschichte der 1002. Nacht geschrieben zu haben, bei der noch keinerlei Morgenröte in Sicht ist?

Ja. Ich hatte kurz tatsächlich die Idee, 1002 Kapitel zu schreiben. Aber ich bin nicht Hammer Purgstall. Ich muß manchmal auch schlafen.

INTERVIEW: Werner Krause