Herr Eisenach, Sie haben am Schauspielhaus Graz schon Clemens Setz’ 800-Seiten-Roman „Frequenzen“ und Thomas Manns 1000-seitigen „Zauberberg“ für die Bühne adaptiert. Jetzt halten wir bei den 1200 Seiten von Virginie Despentes’ „Subutex“-Trilogie. Sagen Sie immer Ja zu solchen Monsterprojekten?
Alexander Eisenach: Nein. Ich fand das Angebot von Intendantin Iris Laufenberg super, weil der Roman mit beiden Füßen in unserer Zeit steht und viele Themen anschneidet, die uns gerade beschäftigen. Und ich halte es für eine gute Idee, den Auftakt der Spielzeit einer groß angelegten Gesellschaftsbetrachtung zu widmen.


Der Protagonist Vernon Subutex versucht sich in Paris durchzuschlagen, nachdem er erst seinen Plattenladen, dann seine Wohnung verliert. Warum ist eine solche Abstiegserzählung der perfekte Saisoneinstieg?
Diese Abstiegserzählung ist ja nicht das einzige, was die Romane interessant macht. Das große Thema ist die Fragmentierung der Gesellschaft, der Solidaritätsverlust, die zunehmende Verhärtung der Positionen. Despentes zeigt, wie alle innerhalb ihrer Weltsicht an ihrem Pol verharren und dann sehr einsam sind. Während Hass und Wut sie daran hindern auf einander zuzugehen, haben die Leute große Sehnsucht danach, wieder zueinander zu finden. In einer fast märchenhaften Erzählung befreien sich dann die Romanfiguren durch so etwas Banales wie gemeinsames Musikhören und Tanzen von diesen Barrieren, sobald sie nichts mehr haben.


„Subutex“ beschreibt auch den, wenn man so will, Weltverlust eines bestimmten Milieus.
Ein gewisses „Hängertum“ verschwindet im Zug der gesellschaftlichen Fixierung auf höhere Selbstverwertbarkeit. Vernon gehört zur Generation der Mitte 40- bis Anfang 50-Jährigen, die das kalt überrollt hat. Während sie sich die Nächte um die Ohren gehauen haben, sind sie alt geworden, und die Zeiten haben sich geändert. Despentes parallelisiert das mit einer gewissen Zeitenwende im Leben und in der Gesellschaft.


18 Künstler wirken an der Produktion mit, darunter Performer und Schauspieler aus der freien Szene wie Marta Navaridas, Alex Deutinger, Rudi Widerhofer. Wie bringt man die auf einen Nenner?
Das Schöne ist, dass man das gar nicht muss. Despentes beschreibt ja viele verschiedene Milieus. Man kann versuchen, diese Verschiedenheit auf der formalen Ebene abzubilden, indem man theatralen Formen wie Tanz oder Performance Platz gibt.


Wieso war für die Hauptrolle kein professioneller Schauspieler, sondern der Musiker Norbert Wally der Richtige?
Vernon ist einer, der den Leuten zuhört und erkennt, was sie brauchen. Also erschien es mir sinnvoll, mit einem Musiker zu arbeiten, wenn es um das nahezu spirituelle Empfinden des gemeinsamen Tanzens und Musikmachens geht.


Es wird live musiziert?
Natürlich, ziemlich viel. Wir wollten nicht einfach „Play“ drücken, wenn es um die Kraft geht, die ein Song haben kann.