Nie ist „Ich liebe dich“ so wahr, wie wenn man fortfährt. Und Reinhold Messner ist in seinen 75 Jahren oft fortgefahren. Der Südtiroler hat sich nicht mit gemütlichen Wanderungen entlang milchiger Gebirgsflüsse begnügt, sich nicht mit der Besteigung des Ortlers und Großvenedigers zufriedengegeben, sondern gleich alle Achttausender im Alleingang bezwungen – nachdem er 1978 mit Peter Habeler den Mount Everest erstmals ohne Sauerstoffflaschen bewältigt hat.
Reinhold Messner hat so ziemlich alles bestiegen und durchquert, was in der Landschaft steht und bei drei nicht auf den Bäumen war. Gefühlt hat dieser Mensch gewordene Achttausender nicht nur Grönland, die Antarktis wie die Wüste Gobi durchquert und den Yeti geschlachtet, sondern auch den Dalai Lama befreit, Ötzi gefunden und die Welt vom Kommunismus erlöst.
Ein postmoderner Luis Trenker
Reinhold Messner ist ein Phänomen, viel mehr als ein postmoderner Luis Trenker, er hat das Bergsteigen revolutioniert, populär gemacht und kommerzialisiert – mit allen negativen Folgen für die Berge, wofür er nur bedingt was kann. Man weiß nicht recht, ob dieser Bergeflüsterer die Einsamkeit der Gletscher gesucht hat, um zu sich selbst zu finden, oder die Gebirge von ihm als Sportgerät missbraucht worden sind. Was in einem Menschen vorgeht, wenn er derartige Grenzen überwindet, werden die wenigsten nachvollziehen können.
Jedenfalls hatte dieser Messdiener der Gipfelstürmerkirche ein schier unglaubliches Bergsteigertalent, und auch für die profanen Niederungen fand er in Sachen Selbstvermarktung eine gute Route. Überall hat er seine Biwaks aufgestellt. Da gibt es eine Burg, in der er selbst yetisch herumspukt, ein Museum, ein Yak-Restaurant, Managerseminare, Bücher, Filme, Stiftungen. Messner gehörte nie zur Spezies der aalglatten Anzugträger, hat immer angeeckt oder sich mit unbändigem Haarwuchs in seinen Themen festgehakt.
Politisch hat er Flaggen für die Natur gehisst und die bis dahin von Gebirgskriegen geprägten Bergsteiger wurden von ihm aus der Seilschaft der Nationaltümelei befreit. Wie kaum ein anderer hat er das „Aufi muass i“ des Watzmann-Rusticals gelebt und ist mit Weitblicken belohnt worden, von denen wir tälernen Troglodyten nur träumen dürfen.
Zwei-, dreimal wäre aber auch er fast abgestürzt. Da war der umstrittene Tod seines Bruders Günter am Nanga Parbat 1970, der ihn fast aus dem Tritt gebracht hätte, auch die Yeti-Sichtung vor über zwanzig Jahren, als er aussah wie Heidi Klum mit Bart, war ein medialer Grenzgang, und dass ihm die aktuelle private Trennung die Luft verdünnt, darf angenommen werden. Doch Reinhold Messner ist unverwüstlich, selbst mit 75 noch sein eigener Berg, der allen Respekt verdient. Er ist der Kaiser der Bergsteiger, dessen Bart alle anderen überwuchert. Nur was die Berge von ihm halten, ob sie ihn mehr lieben, wenn er kommt oder fortgeht, ist nicht bekannt.
Franzobel