Kein Zweifel, dieser "Liliom", vor 110 Jahren in die Theaterwelt entlassen, hat seinen Mitmenschen viel Leid zugefügt. Aber auch dem legendären Strizzi, Karussell-Ausrufer, Herzensbrecher und Tagedieb wurde im Laufe der Jahrzehnte allerlei angetan. An kitschigen Inszenierungen bestand und besteht kein Mangel, auch nicht an meist kläglichen und krampfhaften Versuchen, das Werk in die Gegenwart zu wuchten.
Nun zeigt der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó seine Deutung des Stücks bei den Salzburger Festspielen, entstanden in Kooperation mit dem Hamburger Thalia Theater. Er kennt diesen Klassiker seines Landsmannes Ferenc Molnár zweifellos bis ins kleinste Detail, er weiß auch um die Sprachmelodie, die dem Melodram innewohnt. Entstanden ist daraus, wie sich bei der Premiere auf der Halleiner Perner-Insel zeigte, eine Gesamtkomposition, reich an Seelenmusik in Moll, ebenso reich an meist bedrohlicher Hintergrundmusik.
Dem Regisseur gelingt es in seiner knapp zweistündigen Version, glasklar, mitunter tückisch leicht, die Essenz zu präsentieren: soziale Härte und Not, die eskaliert, häusliche Gewalt, die verschwiegen wird, schwelender oder offener Antisemitismus. Vor allem aber zeigt er Menschen, die fast unentwegt psychischen Notstand signalisieren, ohne Beachtung zu finden. Jörg Pohl liefert als Liliom eine Glanzleistung, ihm um nichts nach steht Maja Schöne als Julia; sie opfert alles für Liliom, wird aber selbst das größte Opfer dieser schier endlosen Spirale der Gewalt, die auch die berührenden Momente der Zärtlichkeit mit sich reißt. Rund um dieses kongeniale Duo agiert ein exzellentes Ensemble, ergänzt durch mehrere quasi von der Straße weg engagierte Laien. Aber letztlich ist dies auch der Grund, weshalb dieser "Liliom" zu einem exemplarischen Bravourstück wurde. Der Abend führt vor Augen, wie laienhaft wir uns aufführen, wenn es darum geht, das Gesicht der Wahrheit zu zeigen. Das Publikum reagierte mit recht kurzem, aber heftigen Applaus.
Werner Krause