Als sie 2018 den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur erhielt, hieß es zur Begründung, Zadie Smith schärfe „unser Bewusstsein für die ethnische, soziale und kulturelle Vielstimmigkeit unserer Welt“.
1975 wurde die Tochter eines englischen Vaters, der unter den Befreiern des KZ Bergen-Belsen war, und einer jamaikanischen Mutter in London geboren. Sadie – das Z eignete sie sich später an – wuchs in einem eher ärmlichen Viertel im Norden Londons auf, zu einer Zeit, in der die gesellschaftliche Vielfalt noch als bereichernd galt, üppige Blüten trug und der soziale Aufstieg nicht auf Glück, sondern auf einer politischen Kultur beruhte.

Mitschuld


In ihren nun erschienenen Essays „Freiheiten“ beschreibt die zweifache Mutter, die mit ihrem irischen Mann und den Kindern heute in New York lebt, wo sie auch Kreatives Schreiben an der NYU lehrt, wie sehr sie es bedauert, dass just ihre Generation gesellschaftspolitisch versagt habe und die Wurzel des heutigen Übels sei: „Die jetzigen politischen Zeiten sind die dunkelsten, die ich je erlebt habe.“ Umweltzerstörung, das Ende der sozialen Marktwirtschaft und steigende Xenophobie seien ihrer enttäuschenden Generation geschuldet. Die Freiheiten und Möglichkeiten seien als selbstverständlich hingenommen und deren Verlust zu spät wahrgenommen worden. Es sind konzise und präzise Gedanken einer klugen, selbst zweifelnden Frau, die nie schulmeistert oder moralisiert, sondern die Welt an ihren Bruchstellen kartografiert.

Flammen der Schande


Ihr amerikanischer Kollege Jonathan Frantzen sagt, ein Essayist sei ein Feuerwehrmann, „dessen Aufgabe es ist, direkt in die Flammen der Schande hineinzulaufen, wenn alle anderen vor ihnen fliehen“. Auch Zadie Smith scheut Brandwunden nicht.
In ihrem „Brexit-Tagebuch“ erläutert sie, dass das unsägliche Austrittsverfahren der Briten aus der EU letztlich auch etwas Gutes habe. Denn es fördere den tiefen Riss durch die britische Gesellschaft, der bereits seit 30 Jahren breiter und breiter werde, „endlich ganz offen zutage“. Die Gräben zwischen Norden und Süden, zwischen den sozialen Schichten, zwischen den Bewohnern von London und allen andern, „und wir alle müssen uns ihnen stellen, nicht nur diejenigen von uns, die für ,Leave‘ gestimmt haben“.
Die Texte in diesem Essayband sind während der achtjährigen Ära von Barack Obama entstanden, schreibt Zadie Smith im Vorwort, und „folglich Produkte aus einer anderen Welt“. Denn das Gefühl, von Ambivalenzen umgeben zu sein, sei jetzt vorbei: „Feuer lässt sich nicht mit Luft bekämpfen.“

Buchtipp: Zadie Smith. Freiheiten. Kiepenheuer & Witsch, 512 Seten, 26,80