Über 120 Mitmachende haben sich bisher gemeldet und wollen dem Aufruf des Autors Robert Menasse und der Politikwissenschafterin Ulrike Guerot folgen, hieß es heute bei einer Pressekonferenz im Wiener Schauspielhaus.
Das Schauspielhaus ist neben dem Burgtheater, dem Volkstheater, Werk X, Kunsthalle Wien und dem Studio 77 eine jener Wiener Institutionen, die mitmachen werden. Auch im Gemeindebau Liebknechthof und von einem Balkon des Bürokomplexes Rivergate in Brigittenau werde das Manifest verlesen, sagte Projektleiterin Verena Humer vom organisierenden European Democracy Lab. Bezüglich des 1938 extra für Adolf Hitler am Wiener Rathaus angebrachten Balkons liefen Gespräche mit der Stadt Wien.
Eine Republik, begründet auf Gleichheit
Bei der Akademie der Bildenden Künste sei man infolge längerer bürokratischer Genehmigungsfristen wohl etwas zu spät dran, dafür ist man zuversichtlich, dass auch am Heldenplatz, wo am Nachmittag des 10. November das Eröffnungsfest des Haus der Geschichte Österreich (hdgö) gefeiert wird, mitgemacht werde. "Wir werden alles dafür tun, dass auch dort die Europäische Republik ausgerufen wird", sagte Humer, die allerdings zugab, dass es bisher noch zu keinem Kontakt mit dem hdgö gekommen sei.
"An die Stelle der Souveränität der Staaten tritt hiermit die Souveränität der Bürgerinnen und Bürger. Wir begründen die Europäische Republik auf dem Grundsatz der allgemeinen politischen Gleichheit jenseits von Nationalität und Herkunft", heißt es in dem Manifest, das bereits in 20 Sprachen übersetzt ist. Vom NTGent über das Bozar Brüssel bis zum Bozener Theater reichen die bisherigen Unterstützer. Corinna Kirchhoff wird auf der Berliner Spreebrücke das Manifest lesen und verteilen, in Hamburg ist eine Diskussion mit Navid Kermani geplant, in Greifswald hat die AfD für 10.11., 16 Uhr, bereits vorsorglich eine Demo am Europaplatz angemeldet.
Am Hamburger Thalia Theater sei eine "Selfie-Box", bei der man sich mit dem Bekenntnis "Ich will Bürger der Europäischen Republik sein" fotografieren lassen kann, so erfolgreich gewesen, dass die Bastelanleitung ins Internet gestellt worden sei, hieß es. Schließlich sei der Kreativität beim Mitmachen keinerlei Grenzen gesetzt und keine zentrale Anmeldung oder Organisation vonnöten. "Umso besser, wenn die Leute selbst die Republik ausrufen", meinte Humer. "Wir geben ihnen bloß ein Werkzeug dafür in die Hand." Schon Ende der Woche dürften es 200 Unterstützer sein, rechnet sie. "Es hat eine irrsinnige Dynamik angenommen."
"Die Sonntagsreden sind jetzt zu Ende!"
"Wir haben einen gemeinsamen Markt, eine gemeinsame Währung, aber keine gemeinsame Demokratie", erklärt Menasse in einem Videoclip das Anliegen und wirbt: "Come and join us!" Er nehme ein "großes Bedürfnis" wahr, "konkret über die Gestaltung der europäischen Zukunft zu diskutieren", sagte Menasse bei der Pressekonferenz. Es müsse gelingen, die Gleichheit aller europäischen Bürger vor dem Gesetz durchzusetzen, ein mit allen Rechten ausgestattetes Europäisches Parlament zu haben, gleiche Rahmenbedingungen. "Und dann muss man weiterdiskutieren: Was macht man mit dem Europäischen Rat? Diese Diskussionen hat es seit den Anfangszeiten, seit dem Lissabon-Vertrag, nicht mehr gegeben. Die Sonntagsreden sind jetzt zu Ende! Was wir erreichen wollen, ist ein breites Bewusstsein dafür, dass wir uns entscheiden müssen: Wollen wir die Zukunft gestalten oder die Zukunft erleiden?"
"Die Gretchenfrage ist heute: Wie hältst Du es mit Europa?", sagte Ulrike Guerot. Die Rechtsgleichheit gelte in Europa bisher für Güter, Arbeiter und Kapital, aber de facto nicht für Bürger. Sie wird gemeinsam mit Menasse in Weimar die Republik ausrufen. Das Datum 10. November habe man als "Brückentag" zwischen Ende des Ersten Weltkriegs und Republikausrufungen gewählt, hieß es. Die Aktion sei auch als Anstoß im Vorfeld der nächste EU-Wahl gedacht und soll nach Möglichkeit am 10. November jedes Jahres wiederholt werden.
Nach dem utopischen Gehalt des "European Balcony Project" gefragt, meinte Menasse: "Wenn die Europäische Republik eine Utopie ist, dann ist sie eine sehr konkrete Utopie, viel weniger utopisch als die Idee der Gründerväter der Europäischen Union. Was damals auf die Schiene gestellt wurde, war wesentlich radikaler als heute. Was wir jetzt anbieten, ist nichts anderes als der logische nächste Schritt in der europäischen Entwicklung." Im übrigen habe er auch "eine Frohbotschaft": "Die Parteien der Mitte, die geglaubt haben, sie müssen mitspielen beim Spiel der nationalen Interessenspolitik und der Verteidigung der besorgten Bürger, werden jetzt überall von den Wählern abgestraft. In dem Augenblick, in dem die ehemaligen Volksparteien wieder zurückfinden - auch durch Diskussionen, wie wir sie führen - in eine pro-europäische Programmatik, schaut das Kräfteverhältnis gleich wieder anders aus. Wir stehen mitten in einem Prozess, in dem die Dynamik der Nationalisten gebrochen wird."