In der Causa Festspiele Erl gibt es einen Paukenschlag: Fünf ehemalige Künstlerinnen klagen in einem offenen Brief sexuelle Übergriffe bzw. Missbrauch durch den künstlerischen Leiter, Gustav Kuhn, an. Sie sprechen von "anhaltendem Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen" durch Kuhn während ihres Engagements.
Es ist zum ersten Mal, dass sich Künstler namentlich an die Öffentlichkeit wenden. Bis dato gab es lediglich anonyme Vorwürfe. In punkto Übergriffen schreiben die aus dem Ausland stammenden Musikerinnen: "Auch einige von uns waren solchen ausgesetzt: unerwünschtes Küssen auf den Mund oder auf die Brust, Begrapschen unter dem Pullover, Griff zwischen die Beine etc., von obszöner verbaler Anmache ganz zu schweigen. Immer wieder wurden die Grenzen der persönlichen Würde und des Respekts uns gegenüber missachtet und überschritten. Regelmäßig waren wir der ungehemmten Aggression des künstlerischen Leiters ausgesetzt".
"Massive seelische Gewalt in Form von Mobbing, öffentlicher Bloßstellung, Demütigung und Schikane" seien auf der Tagesordnung gestanden. "Wer den Spielregeln nicht folgte, wurde mit Repressalien und Ausgrenzung bestraft: Versprochene Rollenaufträge und Verträge wurden zurückgezogen, die zuvor gelobte Leistung war plötzlich nichts mehr wert oder wurde coram publico ins Lächerliche gezogen, um nur einige Beispiele zu nennen", klagten die Frauen an.
Die Künstlerinnen zeigten sich empört, dass "trotz der allseits bekannten Faktenlage die notwendigen Konsequenzen noch immer auf sich warten lassen, sowohl vonseiten der Präsidentschaft der Festspiele als auch vonseiten der zuständigen Politik". Die unangemessene Art, wie auf das Ansprechen der Zustände bei den Festspielen reagiert worden sei, habe es ihnen unmöglich gemacht, länger über ihre eigenen Erfahrungen zu schweigen.
Die fünf Künstlerinnen, die mit massiven Vorwürfen gegen Gustav Kuhn auffahren, waren zwischen 1998 und 2017 in Erl tätig. Ihren offenen Brief richteten sie mit Unterschrift an Festspielpräsident Hans Peter Haselsteiner.
Bei den Künstlerinnen handelt es sich um Aliona Dargel, Violinistin aus Weißrussland, die deutsche Sopranistin Bettine Kampp, Violinistin Ninela Lamaj aus Albanien bzw. Italien, Mezzosopransitin Julia Oesch und Sopran Mona Somm aus der Schweiz. Mit ihrem nunmehrigen Gang an die Öffentlichkeit möchten sie "auch weitere Betroffene auffordern, sich zu gemeinsamem Handeln zusammenzuschließen", erklärten die Frauen.
Im Interview mit dem Ö1-Kulturjournal hat julia oesch inzwischen die Vorwürfe nochmals bekräftigt: Es habe sexuelle Übergriffe gegeben, "die einige von uns erleben mussten, auch ich persönlich". Alles , was in dem Brief angeführt werde, habe sie auch so erlebt, betonte Oesch. Man sei auch regelmäßig von Kuhn zusammengeschrien worden. Dass man in Tränen ausbrochen ist, sei "an der Tagesordnung gewesen". "Es waren teilweise solche Angriffe, die so tief ins Persönliche gingen, dass man teilweise verzweifelt die Bühne verlassen musste". Über ihre Gründe, an die Öffentlichkeit zu gehen, sagte Oesch: "Wenn wir wollen, dass es der nächsten Generation nicht mehr so geht wie uns, dann müssen wir mutig sein, auch wenn es teilweise Überwindung kostet."
Gustav Kuhn, hat die schweren Vorwürfe gegen ihn über seinen Anwalt zurückgewiesen - und mögliche Klagen in den Raum gestellt. Sein Mandant werde sich gegen diese "Menschenjagd" mit den Mitteln des Rechtsstaates zu wehren wissen, teilte Anwalt und Ex-Justizminister Michael Krüger der APA mit. Das Land Tirol zeigte sich indes "betroffen".
Die "Menschenjagd" sei von den Künstlerinnen offenbar über Veranlassung des Bloggers Markus Wilhelm in Gang gesetzt worden, so Krüger. Die Frauen seien zum Teil schon viele Jahre nicht mehr in Erl aufgetreten oder deren Engagements aus künstlerischen Gründen nicht verlängert worden. Die Plattform "Art but fair", die den Brief an die Medien aussandte, nannte Krüger "Unart und Unfair". Derart schwerwiegende Angriffe ohne jede Rückfrage und ohne Kenntnis der näheren Umstände zu veröffentlichen, sei schlicht verantwortungslos. Krüger verwies überdies auf eine Unterschriftenliste mit fast 150 Namen von Künstlern der Tiroler Festspiele Erl, in denen diese gegen die "unbewiesenen Anschuldigungen" protestieren und Intendant Kuhn ihrer vollen Loyalität versichern würden.
Der offene Brief rief allerdings bereits die Staatsanwaltschaft
Innsbruck auf den Plan. Laut Sprecher Florian Oberhofer prüft man einen möglichen Anfangsverdacht. Es werde zu prüfen sein, inwieweit sich über diese Vorwürfe hinaus sich "allenfalls weitere Verdachtsmomente gegen konkrete Personen ergeben", so Oberhofer.
Auch vonseiten der Politik gibt es erste Reaktionen:Tirols Kulturlandesrätin Beate Palfrader (ÖVP) zeigte sich von den Vorwürfen "sehr betroffen"; man nehme diese sehr ernst.
Bund und Land seien dazu bereits in engem Kontakt. "Für uns sind volle Transparenz und Aufklärung wie bisher wichtig und selbstverständlich. Die Staatsanwaltschaft wurde umgehend informiert, nach deren Beurteilung müssen umgehend weitere Schritte gesetzt werden, so Palfrader. Ähnlich äußerte sich Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP).
Nicht so lange warten wollen die Tiroler Grünen, Koalitionspartner der ÖVP auf Landesebene. Sie verlangten die vorläufige Suspendierung Kuhns. "Der zuständige Vorstand muss Konsequenzen ziehen", erklärte der stellvertretende Klubobmann Georg Kaltschmid. Die Vorwürfe seien massiv, sie seien konkret und sie seien glaubwürdig genug, "dass vom Vorstand nicht länger zur Tagesordnung übergangen werden kann". Ebenfalls "Konsequenzen" forderte die Tiroler SPÖ.