Herr Brus, Sie werden 80. Ist das Alter eine Provokation für Sie?
GÜNTER BRUS: Nein, ich finde es nur langweilig. In jüngeren Zeiten ist man aufgeweckter und will mehr unternehmen.
Jetzt nicht mehr?
Der Konsum von Getränken und sonstigen Drogen nimmt ab. Teils auf Befehl meiner Tochter, teils aus Selbsterhaltungstrieb.
Lichtet sich im Alter der Blick auf die Menschen und die Dinge?
Man wird schon gelassener. Ruhiger. Früher hab ich mich oft aufgeregt, das schmilzt so dahin.
Der runde Geburtstag ist mit Trubel verbunden: Ausstellungen in Wien und Graz, unlängst ist Ihr Buch „Von nirgendwo her bis irgendwo hin“ erschienen. Wie bewahren Sie Ihre Tatkraft?
Ach, so viele Ausstellungen sind es gar nicht. Ich stelle ja nur noch in Museen aus, in Privatgalerien nicht mehr, weil ich mit dem Handel nichts zu tun haben will. Und derzeit zeichne ich fast nichts. Ich fühle mich aus-gezeichnet und schreibe lieber.
Lässt die Lust am Zeichnen nach oder die Inspiration?
GÜNTER BRUS: Na ja, ich werde 80. Was verlangt man denn noch von einem Greis? ANNA BRUS: Er hat schätzungsweise 80.000 Zeichnungen gemacht. Aber das kann ja nicht immer so weitergehen, das wäre unmöglich. Er hat sich fast zerrissen, er hat geraucht wie ein Schlot und sich verausgabt bis zum Gehtnichtmehr. Also, ganz bequeme Künstler ... GÜNTER BRUS: ... die beziehen sich auf das Bisherige. Aber bei mir muss immer alles neu sein. Jedenfalls möchte ich es so.
Wo schreiben Sie am liebsten? In Ihrem Atelier?
ANNA BRUS: Bei uns in der Nähe gibt es ein total verrauchtes Kaffeehaus voller Tätowierter, die „Romana“. Dort sitzt er an einem Tischlein, auf dem gerade einmal ein Bierglas, seine Zigaretten und sein Hefterl Platz haben, und schreibt und erstickt dabei fast. GÜNTER BRUS: Aber nein! Meine Ärztin sagt, ich gehöre zu der Sorte Raucher, für die Nikotin gesund ist. Das Buch ist fast zur Gänze bei der „Romana“ entstanden.
Weiß die „Romana“, dass in ihrem Kaffeehaus Kunst entsteht?
ANNA BRUS: Nein. Die denken dort alle, er hat einen Huscher und schreibt den ganzen Tag Liebesbriefe. GÜNTER BRUS: Die Gäste dort lassen mich beim Schreiben in Ruhe. Aber Gasthauslärm stört mich auch nicht. Im Gegenteil, ich mochte ihn immer, ich bin ja in zwei Gasthäusern in Stainz und Mureck aufgewachsen. Dort machte ich meine Schulaufgaben. Wenn sich der Lärm zusammenmischt, ist das für mich anregend.
Ihre Frau sagt, Sie haben sich beim Zeichnen stets erschöpft. Ging es anders nicht?
GÜNTER BRUS: Ich war immer ein manischer Zeichner und Schreiber und manches Mal war es so, dass ich die ganze Nacht gezeichnet habe und meine Frau mich in der Früh auf meinen Blättern schlafend vorgefunden hat. Immer wollte ich eine Serie schaffen, immer auf einen Höhepunkt hinsteuern, immer besser werden. Und manches Mal war das Gegenteil der Fall. ANNA BRUS: Man könnte sagen, er hat immer aktionistisch gezeichnet. Alles ist wie eine Aktion aufgebaut. Es steigert sich, kommt irgendwann zum Höhepunkt und ist dann aus. GÜNTER BRUS: Diese Zeiten sind vorbei. Bye-bye, das kann man nicht erzwingen, die Qualität lässt dann nach. Ich strebe auch kein Alterswerk an, was manche unbedingt im Sinn haben, die dann nur Kasperliaden machen. Es gibt Ausnahmen, aber die meisten Künstler sind im Alter eher fragwürdig. Vor allem bildende Künstler, weil ihre Arbeit auf den Körper geht.
Man weiß, dass Sie als Aktionist nicht nur Ihr Publikum, sondern auch sich selbst nicht geschont haben. Sie haben sich in Ihren „Körperanalysen“ selbst bemalt, Urin, Kot, Speichel als Material benutzt, sich mit Rasierklingen die Haut aufgeritzt.
GÜNTER BRUS: Es gab da aber immer Bindeglieder. Von der Malerei, vom Informel, mit dem ich begonnen habe, zur Selbstbemalung war es nur ein Schritt. Statt die Leinwand weiß zu bemalen, habe ich mich selbst weiß bemalt, das war eine logische Weiterentwicklung. Genauso der „Wiener Spaziergang“ - da ging es darum, die Atelierzeichnung auf dem eigenen Körper in die Öffentlichkeit zu tragen.
Diese Auseinandersetzungen mit dem eigenen Körper, die „Überwindung der Ekelschranken“, wie Sie das selbst einmal nannten, haben die Öffentlichkeit extrem provoziert.
GÜNTER BRUS: Vor allem mit den Selbstverletzungen wurde das brisanter. Und nach der „Zerreißprobe“, meiner letzten Aktion in München, war kein Schritt vorwärts mehr denkbar. Ich konnte mich nicht verstümmeln, so wie es manche Extremaktionisten gemacht haben.
Wie denken Sie rückblickend über Aktionismus und Selbstverletzung? Hat es die Provokation, die Extreme alle gebraucht?
GÜNTER BRUS: Das musste sein. Aber eben nur bis zu diesem Punkt. Ich kann mich nicht wiederholen; auch, als es in die Selbstverletzung ging, war die Steigerung ein elementarer Bestandteil meiner Aktionen. Und nach ihrem Ende fand ich mich dann in einer künstlerischen Krise. Das war schon in Berlin. Ich habe mit dem Zeichenblock herumdilettiert, keine Lust gehabt, ich konnte nichts mehr, ich hatte alles verlernt.
Dass Sie beide nach dem Prozess über die legendäre „Uni-Ferkelei“ von 1968 mit Ihrer kleinen Tochter aus Wien ins Berliner Exil flohen, war unumgänglich?
ANNA BRUS: Wir mussten gehen, sonst wäre er sechs Monate gesessen. Er war ja verurteilt.
Es gab ein exemplarisches Urteil zu Ihrer Aktion „Kunst und Revolution“ an der Wiener Uni mit Otto Muehl, Peter Weibel, Oswald Wiener, bei der unter Absingen der Bundeshymne masturbiert, erbrochen, defäkiert wurde.
GÜNTER BRUS: Wir waren da
nach wirklich gefährdet. Die Fürsorge wollte uns unsere Tochter wegnehmen, die Leute hatten schon 2000 Unterschriften dafür gesammelt. ANNA BRUS: Wir sind auch bei Nacht und Nebel weg, haben in der Wiener Wohnung alles liegen und stehen gelassen. Es war unerträglich. Die Menschen werden zu Hyänen, wenn sie aufgeheizt sind, das weiß man ja. Wenn ich Wien einkaufen war, ist immer jemand neben mir hergegangen, um aufzupassen, dass ich nicht etwas klaue.
Sie haben als Aktionist sehenden Auges die repressive Gesellschaft der 60er-Jahre herausgefordert. Wieso nahmen Sie derart extreme Reaktionen in Kauf?
GÜNTER BRUS: Ich hatte mit Sanktionen gerechnet, aber nicht mit der Höchststrafe, verschärft durch zwei Fasttage und hartes Lager. Das war mir egal, ich liege gerne hart. Dass man mit meiner Bestrafung einen Präzedenzfall schaffen wollte, damit habe ich nicht gerechnet.
Frau Brus, Sie haben an etlichen Aktionen Ihres Mannes teilgenommen. Waren Sie von Anfang an seine willige Komplizin?
GÜNTER BRUS: Sie war meine Kollaborateurin. Nicht mein Modell, nicht meine Muse, sondern Mitarbeiterin. Sie hat sich ja zur Verfügung gestellt und entschieden in Aktionen eingegriffen. Eine enorme Leistung. ANNA BRUS: Ich war eine ziemlich rebellische Natur und mir hat das gut gepasst, gegen diese Gesellschaft zu sein, etwas zu machen, wo man anecken kann.
Wie war denn diese Gesellschaft vor 1968?
Anna BRUS: Wie Wien damals war, kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Die Häuser waren grau, die Menschen waren grau. Und hat man einen Schritt in den Rasen gemacht, hat die Polizei schon furchtbar Krawall geschlagen. Also, mir waren seine Aktionen sehr recht. Aber nach der „Zerreißprobe“, als er sich den Schenkel aufschnitt, habe ich ihm gesagt: Noch eine Aktion mit solchen Verletzungen, dann bin ich nicht mehr da. Das konnte ich nicht mittragen, auch wegen unserer Tochter Diana nicht.
Aber Sie haben sich Günter Brus ausgesucht, weil er jemand war, mit dem man auch über Grenzen gehen konnte.
Anna BRUS: Ja, ich habe ihn ausgesucht. Aber nicht als Künstler, sondern als begehrten Fußballer. 1962 kam ich dann aus der Steiermark nach Wien und habe dort gleich etliche Künstler kennengelernt, auch den Muehl und den Schwarzbauer, mit denen ich etliche Aktionen gemacht habe. Vielleicht sogar mehr als mit dem Brus, ich hab da nie mitgezählt.
Es ging ja damals nicht nur in der Kunst um radikale Veränderung. Wie haben Sie die neuen Lebensmodelle der 68er erlebt?
GÜNTER BRUS: Die 68er-Bewegung war zum Teil sehr wertvoll. Im Gebiet der Sexualität, der Kindererziehung, politisch in der Aufarbeitung der NS-Zeit. Aber ich habe das Geschwätz der 68er nicht lange vertragen.
Sie waren mit Otto Muehl befreundet. Wann haben Sie mit ihm und seiner Kommune gebrochen?
ANNA BRUS: Das ist bald in die Diktatur gekippt. Anfangs war das wunderbar: Gemeinsame Kindererziehung, ein bisschen freie Sexualität ist auch nicht schlecht. Aber es ist schiefgegangen. Die Menschen scheinen nicht geschaffen dafür, alles demokratisch zu teilen.
GÜNTER BRUS: Er hat dann, als er vor Gericht stand, einmal die Aussprache mit uns gesucht. ANNA BRUS: Ich habe ihm gesagt, dass ich nichts mit ihm zu tun haben will. Er hat alle Aktionen falsch verstanden, er hat die gesamte Kunst falsch verstanden, er hat die Politik falsch verstanden, und er ist vor lauter Dummheit dort gelandet.
Die Tabubrüche der Aktionisten waren deklariert politisch, sollten die verdrängungsfrohe Nachkriegsgesellschaft aufrütteln. Seit Ihrer Wandlung zum Bild-Dichter halten Sie sich mit politischen Äußerungen eher zurück.
GÜNTER BRUS: Ich bin rebellisch geblieben, aber nicht öffentlich. Ich denke, das lag an Berlin. Dort war ja alles so liberal, da sah ich keine Notwendigkeit mehr, politisch zu sein.
Anna Brus: Das waren schöne, kreative Jahre. Ich musste in Wien als Schneiderin im Akkord arbeiten, aber in Berlin habe ich dann in einem Atelier mit einer Freundin tolle Sachen gemacht. Hosen aus Pythonhaut, die hat Carlos Santana auf der Bühne getragen. Auch Karl Lagerfeld ging bei uns ein und aus.
Und Sie, Herr Brus, waren in Berlin Hausmann und Künstler?
GÜNTER BRUS: Ich bin mit selbst gemachten Büchern bei Galeristen hausieren gegangen und hab im Souterrain unseres Hauses intensiv gearbeitet. Als Vater war ich mäßig brauchbar und habe eher keine Heldentaten vollbracht.
Was war Ihnen wichtig in der Erziehung Ihrer Tochter?
GÜNTER BRUS: Viel Freiheit, viel Aufklärung. Schutz nur, wo es notwendig war. Nur einmal haben wir einen Fehler gemacht. Wir haben Diana in einen autonomen Kinderladen gegeben. So ein Quatsch. ANNA BRUS: Einen Tag in der Woche musste man dort für die Kinder da sein. Ich dachte mir, ich koch was für die Kinder, lese ihnen was Schönes vor, dann bring ich sie ins Bett. Aber die haben getobt dort, es war wie Krieg. Wenn ihnen was nicht gepasst hat, haben sie sich ins Schienbein getreten. Diana war dort genau drei Wochen. Schrecklich. Aber vielleicht war nur dieser Kinderladen so.
Sie haben in Berlin auch die Radikalisierung der politischen Linken nach 1968 erlebt.
ANNA BRUS: Wir wohnten in einer riesigen Wohnung in einer Berliner Villa, die ohne unser Wissen von der Roten Armee Fraktion als konspirative Wohnung genutzt wurde. Unter denen, die da kamen und gingen, war Angela Luther, die neben Gudrun Ensslin als eine der gefährlichsten RAF-Terroristinnen galt. Eines Tages war unsere Wohnung voller Beamter mit Maschinenpistolen.
Alle, die dort gewohnt haben, standen unter Terrorismusverdacht?
ANNA BRUS: Man hätte ausgewiesen werden können. Aber dafür hätten sie uns etwas nachweisen müssen. Ich glaube, eine Beamtin hat begriffen, dass wir nichts wussten, und ihren Kollegen gesagt, dass sie uns in Ruhe lassen sollen. Aber gefährlich war es trotzdem. Es sind Leute von der RAF erschossen worden, weil sie zu viel gewusst haben.
Sie leben seit Langem wieder in Österreich, wie erleben Sie das Land heute?
GÜNTER BRUS: Bislang war es hier höchst angenehm, aber für die Zukunft bin ich mir nicht sicher, ob ich mit allem einverstanden bin. Es kann durch politische Wendungen in Europa viel passieren, der Orbánismus ist uns schon sehr nahe gerückt. Ich kann da dem Kanzler Kurz nicht richtig trauen. Gott sei Dank sind wir in die EU eingebettet. Aber falls es so weit kommt, dass wir aus der EU austreten, werde ich auf der Stelle wieder Exilant. Dann wird hier alles verkauft, und ich verschwinde im hohen Alter von der Bildfläche.