Nach einem Jahr in türkischer Haft ist der "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel frei. Der deutsch-türkische Journalist wurde am Freitag aus dem Gefängnis Silivri bei Istanbul entlassen und reiste anschließend aus der Türkei aus. Noch am Freitagabend verließ Yücel die Türkei. Wie ein Fotograf der Nachrichtenagentur AFP in Istanbul berichtete, hob ein Flugzeug mit dem "Welt"-Korrespondenten an Bord am Atatürk-Flughafen ab. Angeblich bestieg er eine deutsche Regierungsmaschine in Richtung Deutschland. Gegen 22 Uhr landete er auf dem militärischen Teil des Berliner Flughafens Tegel.
Yücel hatte sich am 14. Februar 2017 freiwillig der Polizei in Istanbul zur Befragung gestellt und war daraufhin in U-Haft genommen worden. Erst am Freitag reichte die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift ein. Sie fordert zwischen vier und 18 Jahren Haft wegen "Volksverhetzung" und "Terrorpropaganda", wie die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete.
Das Gericht ordnete aber für die Dauer des Prozesses Yücels Freilassung an. Nach Angaben der "Welt" wurde keine Ausreisesperre verhängt. Der sichtbar erschöpfte Journalist kehrte nach seiner Freilassung zunächst in seine Wohnung im Istanbuler Stadtteil Besiktas zurück. Begleitet wurde er von seiner Frau Dilek Mayatürk.
Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich erfreut: "Ich freue mich natürlich für ihn, ich freue mich für seine Frau und die Familie, die ja ein sehr sehr schwieriges Jahr der Trennung aushalten musste", sagte sie in Berlin. Die Kanzlerin, die erst am Donnerstag den türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim empfangen hatte, dankte dem deutschen Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) und "allen, die sich dafür eingesetzt haben", dass Yücel freigekommen sei.
Gabriel wiederum dankte der türkischen Regierung "für ihre Unterstützung bei der Verfahrensbeschleunigung". Dazu habe er selbst viele direkte Gespräche geführt, in zwei Fällen auch mit Präsident Recep Tayyip Erdogan. Besonders dankte Gabriel dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu.
Er bestätigte auch eine Vermittlermission von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD). Schröder sei im Bemühen um eine Freilassung Yücels zwei Mal in die Türkei gereist. Der Altkanzler hatte sich bereits im Herbst bei Erdogan für den damals inhaftierten Menschenrechtler Peter Steudtner eingesetzt. Deutsche Medien sprachen von einem "geheimen politischen Tauziehen."
Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes betonte indes, dass es keinen "Deal in irgendeiner Form gegeben hat", um Yücels Freilassung zu erreichen. Die Bundesregierung hatte in den vergangenen Monaten mit Nachdruck auf die Freilassung gepocht. Die türkische Regierung wiederum berief sich auf die Unabhängigkeit der Justiz - dabei verurteilen Kritiker das Verfahren als politisch motiviert.
Die Freilassung Yücels dürfte zu einer Entspannung der deutsch-türkischen Beziehungen führen. Allerdings sitzen nach wie vor fünf Deutsche nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes aus politischen Gründen in der Türkei in Haft. Gabriel äußerte die Hoffnung, dass auch sie freikommen könnten.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International mahnte, auch die anderen inhaftierten Journalisten nicht zu vergessen; die Meinungs- und Pressefreiheit bleibe in der Türkei massiv eingeschränkt. Die im Dezember freigelassene deutsche Journalistin Mesale Tolu sagte im Hessischen Rundfunk, aus dem Slogan #FreeDeniz zur Freilassung Yücels müsse #FreeThemAll für alle inhaftierten Journalisten werden.
Während Yücel am Freitag das Gefängnis verlassen konnte, befand ein Istanbuler Gericht die renommierten Journalisten Mehmet und Ahmet Altan sowie Nazli Ilicak der Beteiligung am Putschversuch von Juli 2016 schuldig und verurteilte sie zu lebenslanger Haft.
"Diese Urteile verhöhnen rechtsstaatliche Prinzipien und die Europäische Menschenrechtskonvention", kritisierte Amnesty International. Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen zeigte sich "entsetzt über das harte Urteil".
Geheimgespräche ohne Gegengeschäft
Der Freilassung Yücels ging einer Recherche von mehreren deutschen Medien zufolge ein geheimes diplomatisches Tauziehen voraus. Nach Informationen des Rechercheverbunds von Norddeutschem und Westdeutschem Rundfunk sowie der "Süddeutschen Zeitung", bat Gabriel unter anderem während eines Treffens mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Rom Anfang Februar um die Freilassung Yücels. Andernfalls bleibe das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei schwer belastet. Erdogan hatte die italienische Hauptstadt wegen eines Treffens mit dem Papst besucht.
Eine Woche danach habe sich Gabriel auf Bitten der Türkei in Istanbul mit Erdogan getroffen, um Einzelheiten des Falls zu besprechen. Teil der im geheimen geführten Verhandlungen sei auch ein Treffen des Altbundeskanzlers Gerhard Schröder mit Erdogan im Jänner gewesen. Dabei habe auch Schröder sich für Yücel eingesetzt. Bisher war die Reise vor allem mit der Freilassung des Menschenrechtlers Peter Steudtner in Verbindung gebracht worden.
Im Außenministerium in Berlin wurde demnach vor einem möglichen Ansehensverlust Gabriels gewarnt, falls er bei den Verhandlungen scheitere. Gabriel sei dennoch gereist, hieß es. Die Freilassung Yücels, der seit etwa einem Jahr in der Türkei in Haft saß, wurde am Freitag bekannt.