Was waren Sie einander?

MANFRED BOCKELMANN: Zunächst war ich sein Dienstbote und er der größere Bruder. Er hat gesagt: „Ich möchte gern eine Zigarette rauchen.“ Das war dann der Hinweis für mich, dass ich meiner Mutter, die eine starke Raucherin war, eine Zigarette entwenden soll.

Da ist also schon sehr früh eine enge Komplizenschaft entstanden?

BOCKELMANN: Ja. So richtig bin ich für ihn aber erst aufgetaucht, da war ich schon schulpflichtig. Wir waren ja neun Jahre auseinander. Er hat da erstmals gemerkt, da ist jemand, der auf besondere Weise auf ihn und seine Musik reagiert.

Waren Sie irritiert, als sich Ihr musikalischer Erzieher sehr früh mit dem Genre der Unterhaltungsmusik arrangierte?

BOCKELMANN: Ich, der zum Hardcore-Jazz erzogen worden war, dachte: „Schon irgendwie lässig, aber Unterhaltungsmusik halt.“

Wie wurde aus dem leidenden Außenseiter der umschwärmte Frauenheld?

BOCKELMANN: Er war Mädchen gegenüber anfangs extrem schüchtern. Aber er hat früh erkannt, dass der hübsche Bruder auf dem Hof überhaupt keine Rolle spielt, wenn er sein Akkordeon auspackt. Er hat gewusst: Mit der Musik kann ich alle erwischen. Gerade wenn du von Frauen geliebt wirst, ist das die höchste Anerkennung für einen Mann. Denn dann wird man auch von den anderen Männern bewundert, weil die sagen: „Was kann der, was ich nicht kann? Ich komme da mit dem Porsche daher, und die steigt bei dem im VW ein.“ Jeden Buben interessieren Mädels, ihn vielleicht noch mehr, weil sie ihn wegen seiner abstehenden Ohren gehänselt haben. Das hat ihn sehr belastet.

Was war mit seinen Ohren?

BOCKELMANN: Da ist er einmal im Wiener Volksgarten aufgetreten und hat während einer Pause mitgekriegt, wie sich ein Mädchen dem anderen gegenüber über seine abstehenden Ohren lustig macht. Er hat mir erzählt, wie sehr ihn das getroffen hat. Zurück in Kärnten hat er sich gesagt: „Ich muss mir meine Ohrwascheln richten lassen. Die sind ein Wahnsinn!“ Als man Udo den Verband abnahm, stellte sich heraus, dass der Arzt das perfekt gemacht hatte. Udo war geheilt und endlich fesch.

Wie kam es eigentlich zum Lied „Mein Bruder ist ein Maler“?

BOCKELMANN:  Das entsprang einem Gespräch zwischen uns. Er hat immer wieder gesagt: „Manfred, ich beneide dich, wie du das handhabst mit deiner Familie, deiner Malerei. Ich würde das auch gern so schaffen.“

Sie waren auf dem Weg zu einer seriösen Künstlerkarriere und fanden sich in einem Schlager wieder?

BOCKELMANN:  Das Lied ist wirklich sehr schön, aber es hat nur teilweise mit mir zu tun. Ich habe es auch gemerkt, dass mich die Leute zwischendurch nur noch als „Bruder vom Udo“ vorgestellt haben.

War Udo heimatverbunden?

BOCKELMANN: Der Udo hatte eine starke Bindung zu Ottmanach. Wenn er hier ankam, war er wie beseelt. Er hat dann erzählt: „Wenn ich hier durch die Landschaft fahre, dann sehe ich meine Kindheit. Es ist so wunderbar hier und wie hier alles riecht!“

War er oft hier?

BOCKELMANN: Er war immer wieder da. Vor seinem Tod war er aber zwei Jahre nicht mehr hier. Wir haben ja noch seinen 80. Geburtstag in einem sehr kleinen Rahmen gefeiert. Wenn man im Nachhinein weiß, dass man sich da verabschiedet hat ... Ich bin gar nie auf die Idee gekommen, dass er überhaupt irgendwann stirbt.

Was war Zürich für ihn?

BOCKELMANN: Er war dort zu Hause, aber Heimat war es für ihn nicht.

Blieb er dort ein Fremder, so wie die Gastarbeiter in „Griechischer Wein“?

BOCKELMANN: Der Udo hat sich gut assimiliert, der konnte auch perfekt Schwyzerdütsch. Aber er tendierte zurück nach Kärnten. Es gab zuletzt ein Gespräch am Grab unserer Eltern in Ottmanach. Ich wusste, dass ihm in Wien ein Ehrengrab angeboten worden war. Er war da ziemlich sauer, fand es geschmacklos. Aber ich habe ihn auf das Ehrengrab angesprochen, und er hat da zu mir gesagt: „Manfred, ich hoffe, du verstehst das, aber ich werde das annehmen in Wien. Weil da finden mich meine Fans.“

„Udo tendierte zurück nach Kärnten“: Manfred Bockelmann in seinem Atelier nahe Ottmanach
„Udo tendierte zurück nach Kärnten“: Manfred Bockelmann in seinem Atelier nahe Ottmanach © Weichselbraun

Als Sie von seinem Tod am Bodensee hörten, was ging damals in Ihnen vor?

BOCKELMANN: Ich war völlig unvorbereitet. Der Udo war derartig diszipliniert. Der ist nie ungepflegt aus dem Haus gegangen, hat immer darauf geachtet, dass er aufrecht ging, auch wenn ihm etwas wehgetan hat.

In einem Interview hat er aber auch von Exzessen gesprochen, etwa von zwei Flaschen Wodka und 40 Zigaretten am Tag. Eine Übertreibung?

BOCKELMANN: Der Udo hat einmal zu mir gesagt: „Manfred, wenn du Geschichten erzählst, ist es nicht wichtig, ob sie wahr sind. Wichtig ist, dass sie spannend sind.“ Und in diese Kategorie fallen diese Geschichten.

Haben Sie ihn berauscht erlebt?

BOCKELMANN: Das schon. Aber es waren lachende Räusche, nicht diese Verzweiflungsräusche, wo du allein im Rinnsal liegst.

Hat er auch Drogen genommen?

BOCKELMANN: Nein. Ich habe ihn nie mit einem Joint gesehen.

Würden Sie sagen, dass Udo unter seiner großen Fangemeinde sogar gelitten hat?

BOCKELMANN:  Das Geliebtsein kann ziemlich anstrengend sein. Weil man auch Menschen trifft, die man nicht unbedingt liebt, bei denen man sich fragt: „Warum mag mich der eigentlich?“ Das Schlimmste waren die Menschen, die immer in der ersten Reihe sitzen und bei denen er sich fragte: „Wie ist es möglich, dass sie sich immer wieder mein Konzert anhören?“

Hat das auch für seine weiblichen Fans gegolten?

BOCKELMANN: Das Sichanbieten der Frauen wurde für ihn zusehends ein großes Problem. Er hat das schon genossen, aber irgendwann hat ihm das nichts mehr bedeutet.