Wir tanzen einfach uns selbst, sagten die vier jungen Frauen Anfang der 80er. Heute ist die Choreografie eine Ikone ihrer selbst und ein unfreiwilliges feministisches Zeitzeugnis.
Mit drei weiteren Absolventinnen von Maurice Bejarts Schule Mudra tat sich die junge Belgierin Anne Teresa de Keersmaeker im Jahr 1983 zusammen, um nach ihrem Debüt "Fase" ein neues Stück zu kreieren. Ihre Zutaten waren kleinste Alltagsbewegungen, sämtlich dezidiert weiblich, unwillkürliche Muster von Erschöpfung, Entspannung, Koketterie, ein Seufzen, eine freigelegte und wiederbedeckte Schulter, Hand durchs Haar, Kinn aufstützen, zusammensinken zum Schlaf, wiederaufrichten.
In einer scheinbar endlosen, streng variierten Anordnung dieser Atome des Weiblichen entrücken sie ihrem Kontext und werden zu Tanz, der sich als Mimesis im eigentlichen Detailsinn begreift. Erzählen ebenso demütig wie fanatisch vom Lebendigsein, vom Frausein, von Raum und von Rhythmus in einer neu entwickelten Sprache mit einfachstem Vokabular und diffiziler Grammatik. Damals, in den 80ern, habe sie bestimmt keine Feministin sein wollen, sagt de Keersmaeker heute. Gegen die Vereinnahmung ihrer Arbeit wehrte sie sich vehement. Das Stück sei einfach, "wer wir sind". Welch radikale feministische Aussage das ist, wird vielleicht erst im Rückblick deutlich.
Tausende tanzen
Denn dreieinhalb Jahrzehnte später - Anne Teresa de Keersmaeker ist längst zur Grande Dame des zeitgenössischen Tanzes und seit kürzerem auch zur prononcierten Feministin avanciert - sind die Lesarten des tanzenden weiblichen Körpers nicht wirklich weniger schematisch bestimmt, wie nicht zuletzt die Geschichte von "Rosas danst Rosas" selbst zeigt. Nach seinem unter anderem in Wien gestarteten Siegeszug durch die internationale Szene gelangte die Choreografie nicht zuletzt durch ein Plagiat durch US-Sängerin Beyonce zu weitreichender Bekanntheit. Und durch das Projekt "Re:Rosas", das nun auch im Pausenfoyer des Odeon zu sehen ist, tanzen tausende Mädchen und Frauen, aber auch Männer, Profitänzer wie Laien, die Choreografie nach und schicken Videos davon ein.
Keine Abnützung
Nicht selten verkommt das feine Geflecht aus Komplizenschaft und Konkurrenz, Verzweiflung und Verführungskunst, aus formaler Strenge und passionierter physischer Verausgabung, aus Synchronizität und der Macht des kleinen Unterschieds, das de Keersmaeker so kunstvoll von ihren Tänzerinnen spannen lässt, in diesen Video-Nachstellungen zu plumpen Imitationen von Coolness oder Sexappeal.
Von diesem Ausflug in den Mainstream könnte sich "Rosas danst Rosas", das schon von mehreren Generationen von Tänzerinnen der Rosas-Compagnie gelernt und herausgebracht wurde, auch abgenutzt haben. Frenetischer Jubel bezeugte bei der gestrigen Premiere das Gegenteil. Wegen der großen Nachfrage nach dem ImPulsTanz-Special wurde neben den acht geplanten Terminen bereits eine Zusatzvorstellung anberaumt.