Regisseurin Carolin Pienkos spricht im Interview mit der Austria Presse Agentur über die erschreckende Aktualität des Stoffs, Demokratieverständnis in Zeiten Sozialer Medien und die Arbeit mit ihrem Mann Cornelius Obonya und ihrer Schwiegermutter Elisabeth Orth, die gemeinsam als Mutter-Sohn-Gespann auf der Bühne stehen.
Austria Presse Agentur: Vor ein paar Jahren hätte man vielleicht gefragt - warum ausgerechnet "Coriolan"? Heute scheint der Stoff auf der Hand zu liegen...
Carolin Pienkos: Es ist erstaunlich und in der Tat erschreckend, wie aktuell das Stück ist. In Zeiten, in denen wir darüber diskutieren, wie viel Mitspracherecht das Volk in einer Demokratie haben sollte und in denen wir gerade gesehen haben, was Plebiszite hervorbringen können, etwa den Brexit. Wenn ich daran denke, was Populisten wie Donald Trump in Amerika bewirken können, wird mir Angst und Bange vor dem, was tatsächlich so alles an Entscheidungen in Volkes Hand gelegt wird. Genau das ist der Inhalt des Stückes.
APA:Haben Sie den Wunsch, das Stück zu inszenieren, schon länger mit sich getragen?
Pienkos: "Coriolan" ist ein Stück, das ich schon länger kenne und das mich wahnsinnig interessiert hat. Auch Elisabeth Orth und Cornelius Obonya wollten schon länger in dieser Konstellation spielen. Dass wir das jetzt hier gemeinsam machen können, ist ein Riesenglück.
APA:"Coriolan" ist eines jener Shakespeare-Dramen, die eher selten gespielt werden. Woran liegt das?
Pienkos: Es gilt als sein politischstes Stück, und davor schrecken, glaube ich, die meisten zurück. Weil sie glauben, Politik sei dröge und hart und interessiere uns eigentlich nicht, wenn man sich die Politikverdrossenheit anschaut. Und bei Tragödien an sich hat man Bedenken, wenn sie nicht gerade über eine Liebesgeschichte wie etwa bei "Romeo und Julia" gefüllt sind. Das Stück ist einerseits sehr spröde, und andererseits hat es die Qualität, dass es so ambivalent ist. Shakespeare erzählt hier so differenziert beide Seiten, setzt Pro und Contra so gegeneinander, dass letztendlich wir selbst entscheiden müssen. Wir als Zuschauer und als Theatermacher.
APA: Der Stoff wurde in der Vergangenheit unterschiedlich interpretiert. Wo setzen Sie an?
Pienkos: Ich möchte es weder in die eine noch die andere Richtung überdeuten. Brecht hat sich für das arbeitende Volk entschieden und Partei ergriffen, im Dritten Reich haben die Faschisten sich für die andere Seite entschieden. Aber genau das eben nicht zu tun, sondern dem Zuschauer zu überlassen, selbst zu begreifen, was Demokratie heißt - nämlich dass es ein Prozess ist - das würde ich wahnsinnig gerne schaffen.
APA: Die Macht des Volkes - mit diesem Terminus wird in letzter Zeit gerne Wahlkampf gemacht. Wie viel Macht sollte das Volk haben? Bei komplexen Fragestellungen - die etwa zum Brexit geführt haben - scheint das Volk oft überfordert...
Pienkos: Ich glaube, dass sich Populisten da draufsetzen und den Wunsch, in der Demokratie mitzureden, instrumentalisieren. Das sollen die Menschen ja auch, aber das ist genau das Problem. Sie müssen informiert sein. Deshalb wählen wir Politiker als Repräsentanten einer demokratischen Gesellschaft, damit die es tun und sich hoffentlich so in die Materie vertieft und die Informationen haben, um Entscheidungen treffen zu können. Mit den entscheidenden politischen Fragen überfordert man glaube ich auch die Demokratie.
APA: Das Volk hat heute viel mehr Möglichkeiten, sich zu äußern. Stichwort Facebook oder Internetforen. Es greift ein anderer Ton um sich. Wie sehen Sie das in Hinblick auch auf das Demokratieverständnis der heutigen Kinder?
Pienkos: Mir macht diese Entwicklung große Sorge. Ich glaube, dass unsere Kinder mit dem Internet so anders konfrontiert werden als wir. Man hat es da mit einer ganz anderen Öffentlichkeit zu tun als etwa bei Zeitungen, die gute Redaktionen haben, wo redigiert, kontrolliert und korrigiert wird. Letztlich ist im Netz alles wie bei Wikipedia: Da kann jeder alles reinschreiben. Ob das wirklich wahrhafte und richtige Information ist, ist nirgendwo verifiziert. Wir befinden uns im Kommunikations- und Informationszeitalter und wenn ich mir etwa die WhatsApp-Runden meines Sohnes anschaue, frage ich mich: Was ist denn nun die Information? Was ist die Kommunikation? Da geht es letztendlich um das Sich-Mitteilen, aber der Inhalt rückt in den Hintergrund. Auch Populisten versuchen, einem Bürgertum die Möglichkeit zu geben, mitzureden. Im Endeffekt ist das eine starke Emotionalisierung, aber keine wirkliche Information mehr. Der differenzierte politische Diskurs geht verloren, weil wir immer größere Parolen haben müssen, wo es darum geht, wer eine starke Meinung hat, aber nicht was für eine.
APA: In dem Stück haben Frauen - bis auf Coriolans Mutter - nicht viel zu melden. Wie begegnen Sie diesem Umstand?
Pienkos: Volumina ist eine unglaublich starke Frau, eine führende Kraft in dem Reich. Bei Virgila ist es bezeichnend, wenn sie nicht viel sagt, sie hat keine Sprache. Zwischen diesen beiden Frauen bewegt sich Coriolan. Shakespeare hat da eine kluge Konstellation geschrieben, die man mit Schillers "Don Carlos" vergleichen kann. Man hat das politische und das persönliche Drama, und die beiden überschneiden sich.
APA: Auf der Bühne stehen Ihr Mann und Ihre Schwiegermutter. Wie arbeitet es sich mit der Familie?
Pienkos: Eigentlich möchte ich diese so oft gestellte Frage nicht mehr beantworten. Aber ich kann es so sagen: Es ist eine absolute Luxussituation, mit meinem Mann und mit meiner Schwiegermutter zusammenarbeiten zu dürfen. Einerseits, weil ich dadurch unglaubliche Kaliber auf der Bühne habe, andererseits, weil wir eine gemeinsame Sprache haben, durch die sich eine Fantasie leichter mitteilen lässt.
Interview: Sonja Harter/APA