"Gegenüber", erschienen im Residenz-Verlag, beschreibt reduziert auf nur sechs Tage die Begegnung und aufkeimende Freundschaft zwischen zwei auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Frauen. Die weltgewandte und patrizierhafte Henriette Lauber, die sich nach einem erfüllten Leben als Cutterin von Kinofilmen im Alter in eine Innenstadtwohnung zurückgezogen hat, wird nach einem Schwächeanfall von ihrer auf den ersten Blick "einfachen" Nachbarin, der 37-jährige Linda, umsorgt. Nach anfänglichem Widerwillen öffnet sich Lauber der jüngeren Frau mehr und mehr.
Erika Pluhar wählte als Erzählform erneut den Dialog. "Es ist meine Ausdrucksform. Ich suche auch in meinem Leben das Gespräch, den Dialog", sagte Pluhar. Und so ist es auch nicht die äußerliche Handlung, die "Gegenüber" auszeichnet, sondern das eindringliche Innenleben der Figuren. Linda, die nach dem Selbstmord ihrer Eltern in Henriette eine mütterliche Freundin wittert, die ihr dabei helfen könnte, ihrem überschaubaren Leben zu entkommen, und Henriette, die dank der 37-Jährigen aus ihrer Isolation ausbricht.
Der Charakter von Henriette ist zweifellos von Pluhar selbst beeinflusst. Der Schriftstellerin gelingt es dabei, ein Bild des Alters zu zeichnen, das zwar gnadenlos realistisch, aber stets von Würde geprägt ist. Beispielhaft ist etwa eine Szene, in der sich die Hauptfigur nackt in einem Spiegel betrachtet: "War hässlich, was sie da sah? Nicht unbedingt fand sie. (...) und alles in welke Haut gehüllt, nicht unschön, nur eben welk, wie Blumen auf sanfte Weise welk sein können".
Auseinandersetzung mit der Endlichkeit
Einhergehend mit dem Alter kommt unweigerlich die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit. "Schmerzlich ist vor allem das Fehlen von Zukunft. Irgendwann hat man alles zum letzten Mal gemacht", sagte Pluhar. Dafür lernt man, die "Gegenwart hochzuhalten und sie zu genießen". Zum Tod selbst hat die Schauspielerin ein ambivalentes Verhältnis: "Natürlich fürchte ich mich wie jeder Mensch vor dem Tod, aber ein klein wenig bin ich auch auf ihn neugierig".
Der ehrliche Umgang mit den unvermeidbaren Schattenseiten des Lebens ist auch, was "Gegenüber" so lesenswert macht. Es findet sich darin kein Zweckoptimismus wie "Man ist so jung wie man sich fühlt", aber auch keinerlei Selbstmitleid. Es ist ein Roman über die größten Lernschritte des Lebens: Das Abschiednehmen, das Alter und den Tod. Vorangestellt ist dem Buch übrigens ein Zitat von Viktor Frankl: "Denn das Vergangen-Sein ist vielleicht die sicherste Form von Sein überhaupt".
Gerwin Haider