Herr Nemeth: 199 – crescendo! 200 – fortissimo! 201 – decrescendo! Wie schwer ist es denn, nach der Hochzeit rund um den 200. Geburtstag des Musikvereins für Steiermark wieder zum „Normalklang“ zu finden?


MICHAEL NEMETH: Gar nicht schwer. Natürlich war die Dichte unseres Jubiläumsprogramms ebenso enorm wie das Arbeitspensum, aber wir haben dadurch viel an Renommee gewonnen. Und es bleibt auch im 202. Jahr unser Steckenpferd, Musiker einzuladen, die Weltklasse sind oder auf dem Weg dorthin – wie etwa den Tenor Mauro Peter. Als Veranstalter muss man freilich realitätsnah bleiben: Es kann nicht ausschließlich exzeptionelle Angebote geben, dennoch darf man an allem sparen, nur nicht an der Qualität. Ich freue mich jedenfalls auf jede Spielzeit, auf jedes Konzert, und auch heuer können wir in jedem Zyklus Delikatessen bieten. Und große Künstlerpersönlichkeiten, zum Beispiel im Jänner den Ausnahmedirigenten Teodor Currentzis, der mit den Wiener Symphonikern und der Geigerin Patricia Kopatchinskaja Tschaikowsky bringen wird.


Worauf können Sie nach neun Jahren an der Spitze des Musikvereins am meisten bauen?


NEMETH: Zu allererst auf unsere hohe Zahl an Mitgliedern, derzeit 2600, die sind ja sozusagen unsere Arbeitgeber. Auf die hohe Eigenwirtschaftlichkeit von 80 Prozent bei so wenig Subventionen, auf gute Mitarbeiter und eine schlanke Verwaltung.


Wie gehen Sie mit den strengen Traditionalisten im Verein um?


NEMETH: Nun, Kontinuität ist auch ein Wert. Seit meinem Antritt 2008 habe ich aber auch viele Neuerungen geschafft, die natürlich immer eine gewisse Eingewöhnungszeit brauchen. Ich will einfach vermitteln, dass Tradition und Innovation keine Widersprüche sind. Die ganz Strengen, die etwa Mahler für zu modern und Schostakowitsch für einen Exoten halten oder eine Beethoven-Symphonie am liebsten ohne „Vorspeise“ haben wollen wie zuletzt Jörg Widmanns wunderbare Konzertouvertüre, versucht man mit Mails, in Telefonaten oder direkten Gesprächen zu überzeugen. En gros sind die Rückmeldungen aber sehr gut, die Aufgeschlossenheit führt zudem zu einer besonderen Art des Zuhörens – das merken auch die Musiker.


Ob bei den Salzburger Festspielen, bei der styriarte oder bei Ihnen, das Klassikpublikum überaltert mehr und mehr.


NEMETH: Zunächst einmal: Auch bei steigendem Einzelverkauf ist es wichtig, eine treue Hauptkundschaft zu haben, die darf man nie außer Acht lassen, diese Menschen sind Träger der Hochkultur. Und dann sind Konzertbesuche für Ältere auch ein wichtiges soziales Ereignis: Manche sind allein, raffen sich aber auf, weil die Musikvereins-Montage für sie ersehnte Fixpunkte sind.


Wie wollen Sie neues Publikum, neue Schichten erreichen?


NEMETH: Es gibt ja einerseits diese blöde Mär, unsere Abos könne man nur erben. Und andererseits leiden wir wie alle Klassikveranstalter immer noch unter den nicht auszurottenden Klischees: Zu teuer! Dauernd ruhig sitzen! Da muss man sich ja schön anziehen! Wir tun viel dafür, dass auch die Skeptiker die zwei Meter durch die Türe schaffen.


Zum Beispiel?


NEMETH: Heuer erstmalig mit dem Musikvermittlungsangebot „Probe:Hören“: Wir öffnen dabei die Generalproben des Grazer Philharmonischen Orchesters, die jeweils an Vormittagen der Konzerttage stattfinden, und ermöglichen somit künftig pro Spielzeit etwa 1000 Interessierten zum günstigen Preis von zehn Euro die Atmosphäre klassischer Konzerte kennenzulernen. Das ist eine Einladung unsererseits, auch an Gruppen, dabei wollen wir unter anderem aktiv an Verbände wie die Feuerwehr oder die Rettung herantreten.


Das Saisonmenü mit 46 Gängen ist angerichtet. Der Küchenchef empfiehlt . . .?


NEMETH: . . . (denkt lang nach) Das ist immer so eine heikle Frage, weil man niemanden benachteiligen will. Die Festkonzerte mit Cecilia Bartoli und Elina Garanca natürlich. Den Saisonauftakt mit Mozarts „Così“ konzertant. Schlagzeuger Martin Grubinger, der sein im Jänner abgesagtes Konzert nachholt. Das Gipfeltreffen von Minetti Quartett und Mandelring Quartett, die Mendelssohns berühmtes Streichoktett interpretieren werden.


Spezielle Wünsche für die nahende Spielzeit?


NEMETH: Dass es so gut bleibt wie zuletzt und wir das Niveau halten können. Dass es keine Absagen gibt. Und dass es noch mehr Wertschätzung für unsere Kulturarbeit gibt, gerade von den Subventionsgebern. Jeder weiß, dass unter dem Druck der Sparvorgaben die Quellen rundum nicht mehr so heiß sprudeln wie früher, aber sagen wir: Für den Musikverein wäre noch Luft nach oben. Ja, ich weiß, ich jammere manchmal, aber nicht zu oft.


Womit würde eigentlich der Generalsekretär des Musikvereins einen Klassik-Wurlitzer bestücken?


NEMETH: Mit allem, was einen natürlichen, unverfälschten Klang hat. Denn mir ist vor allem die Qualität der Wiedergabe wichtig, ob das jetzt authentische Volksmusik ist oder ein lässiger Popsong. Was ich wirklich immer hören kann, sind italienische Opern und Mozart in allen Facetten. Und was ich gar nicht aushalte, ist Lärm – außer bei Bruckner und Mahler (schmunzelt).


INTERVIEW: MICHAEL TSCHIDA